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Hohe Wellen in der Bucht
Durch die geplante Bebauung am Ostkreuz sehen sich viele Menschen in Lichtenberg bedroht
Es ist ein sehr frühes Konzert, dass der Berliner Musiker «Geigerzähler» am Montagmorgen gibt. Es ist halb zehn, die Sonne sendet Spätsommerlicht über die Rummelsburger Bucht, auf dem Uferweg fahren Fahrradfahrer schnell Richtung Ostkreuz. Etwa 20 Menschen sitzen derweil am offen zum Uferweg hin gelegenen Sand- und Volleyballplatz. Die meisten haben hier die Nacht verbracht. «Es gab Gerüchte, dass das dahinter liegende Areal in den frühen Morgenstunden geräumt werden soll, wir haben uns also vorsorglich Unterstützung eingeladen», erzählt Maxi Klinke.
Die junge Frau wohnt zusammen mit anderen jungen Leuten auf dem «DieselA» genannten Gelände zwischen dem Uferweg der Bucht und der Hauptstraße. Es gehört seit Juli der Investa RuBu GmbH & Co. KG 1 und 2 und liegt neben der insgesamt 40 000 Quadratmeter großen Fläche, die die Padovicz Gruppe gekauft hat. Für beide Flächen ist gemäß dem vom Bezirk priorisierten «Bebauungsplan Ostkreuz» eine enge Wohn- und Gewerbebebauung vorgesehen. Die Autos und Zelte der «DieselA» sollen dafür verschwinden, ebenso das Camp der Obdachlosen auf der zur Kynaststraße gelegenen Fläche, durch die sich bereits Kanalgräben für die Fernwärmeleitungen der Firma Vattenfall ziehen. «Die verbreiten hier schon ganz deutlich die Anzeichen einer drohenden Verdrängung», sagt Paula Dietrich, eine junge Berlinerin, die ebenfalls seit Mai dieses Jahres auf der Fläche von «DieselA» wohnt.
Dietrich kennt das Gelände hier schon lange, erzählt, wie sie als Jugendliche häufig am Wasser der Rummelsburger Bucht gesessen hat und regelmäßig den Biergarten und Club «Rummels Bucht» besucht hat. Nun engagiert sie sich dafür , dass hier nicht der letzte Zugang zum Wasser mit privaten Luxusimmobilien verbaut wird. «Der Club hat seine Kündigung zum 31. Dezember bekommen. Uns hat die Investa mit einem Schreiben vom 2. August mitgeteilt, dass sie gegen uns Strafanträge stellen wird, wenn wir nicht umgehend ihr Gelände verlassen», erklärt Dietrich die Lage.
«Wenn man sich die herannahende Bebauung anschaut, kann man wie im Zeitraffer anschauen, was hier bald passieren wird», sagt die Wagenplatzbewohnerin und weist auf die Bauten der Streletzki-Gruppe, die von der Kynaststraße herüberragen.
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Die Nachbarschaft hier, so erzählen es die Bewohnerinnen von «DieselA», habe zum aktuellen Zeitpunkt keine langfristige Perspektive, dabei, sei sie sehr lebendig und in ständigem Austausch. «Wir halten einfach zusammen», sagt Maxi Klinke, «auch gegen viele abwertende, klassistische sozial-chauvinistische Äußerungen und Angriffe, die uns hier treffen.» Eine Bootsbewohnerin habe sogar schon begonnen, diese filmisch zu dokumentieren. «Es ist beschämend, wie Menschen, die sich offensichtlich ein wohlhabendes Leben leisten können, auf Menschen herabschauen, für die das nicht zutrifft und die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen hier zusammengefunden haben», sagt auch Paula Dietrich.
Man könne aber auf die Unterstützung seitens der Anwohner*innen zählen, die sich hier für einen alternativen Bebauungsplan einsetzen. Verdrängung beinhalte dieser zwar auch, sagt Dietrich, sei aber realpolitisch gesehen sozialverträglicher - das Konzept sieht nur Sozialwohnungen, den Erhalt von Biotopen sowie Flächen für soziokulturelle Projekte und Kleingewerbe vor. Der Zusammenschluss Initiativen am Ostkreuz hat zuletzt im Juni vorgeschlagen, dass das Land Berlin der Firma Investa ein Rückkaufangebot für den vorderen Teil des Grundstücks unterbreiten solle. So könnten wenigstens eine Sportanlage und öffentliche Spielgeräte entstehen sowie ein saisonales Kulturprojekt. Der Rückkauf würde auch eine Erweiterung der Kita «Seepiraten» entlang des Ufers ermöglichen und die rückseitige Sportanlage erhalten. Das «Wasserhaus» - so lautet die aktuelle Bezeichnung des als «Coral World» angekündigten Aquariums - soll kompakter gestaltet werden und mehr öffentliche Fläche am Wasser zulassen.
«Der Planungsausschuss, in dem die Vorlage zur Verbesserung des B-Plans besprochen wurde, hat uns sehr ernüchtert», sagt Tobias Trommer vom Initiativennetzwerk. Ein Rückkauf von Flächen sei nicht möglich. Man hätte, so Trommer, der sich seit 2010 für eine alternative Bebauung einsetzt, mit viel Zeit und ohne Not die Pläne verbessern können. «Wir haben immer rechtzeitig alle Vorschläge eingereicht. Was angesichts der aktuellen wohnungspolitischen Entwicklung bei uns ankommt ist: Man predigt Wasser und trinkt Wein», so der Initiativenvertreter.
Stattdessen: Grundstücksprivatisierung und der Abriss historischen Bestands zugunsten teurer Wohnungen. Ein dringend notwendiger Kitaneubau ist nur zulasten des Sportbereichs vorgesehen, eine neue Schule gar nicht. Dabei haben seit dem Frühjahr 46 000 Menschen die Online-Petition der Initiative «Rummelsburger Bucht retten» gegen den Bebauungsplan in seiner jetzigen Form unterzeichnet. Auch für einen Einwohnerantrag gegen den Beschluss des B-Plans waren über 1000 gültige Unterschriften zusammengekommen. Korrekturen am Bebauungsplan, wie die halböffentliche Nutzung des «Wasserhauses» waren in einer rechtlichen Einschätzung als «Etikettenschwindel» bezeichnet worden («nd» berichtete«).
Der Lichtenberger Bezirksbürgermeister Michael Grunst von der LINKEN war bis zum Redaktionsschluss dieser Seite nicht für eine Stellungnahme erreichbar.
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