Keine Schlangen auf dem Korridor

Die Anzahl der Asylsuchenden wird auch 2019 weit unterhalb der von der schwarz-roten Koalition beschlossenen Obergrenze liegen

Das Bild anstürmender Flüchtlingshorden und die Rede von einer unkontrollierten Masseneinwanderung sind noch immer gut, um Ängste zu schüren und »Flüchtlingskanzlerin« Angela Merkel zu diskreditieren. Mit den tatsächlichen Zahlen der Zuwanderung hat beides nichts zu tun. Wie aus einer Kleinen Anfrage der LINKE-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke hervorgeht, lag die Zahl der Schutzsuchenden im vergangenen Jahr unterhalb der bisher genannten - und damit noch weiter von der sogenannten Obergrenze entfernt, die Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag als »Zuwanderungskorridor« für 180 000 bis 220 000 Personen festgeschrieben hatten.

Für das laufende Jahr lassen die bisherigen Erkenntnisse darauf schließen, dass noch einmal weniger Personen Asyl in der Bundesrepublik beantragen werden. Zudem offenbaren die Antworten Unschärfen in der Berechnung der Zahl der Schutzsuchenden, wodurch diese höher ausfallen.

So musste das Bundesinnenministerium frühere Angaben für 2018 inzwischen nach unten korrigieren. »Nach Vorlage der abschließenden Zahlen des Familiennachzugs nach Visaerteilung zu den sieben Hauptherkunftsländern beziehungsweise zu subsidiär Schutzberechtigten im Jahr 2018 ergibt sich, dass nur rund 33 000 Visa zu diesem Zweck im Jahr 2018 erteilt wurden«, heißt es in der »nd« vorliegenden Regierungsantwort. Insoweit sei die »im Januar 2019 mitgeteilte Zahl von 165 000 Zuwanderern im Jahr 2018 auf rund 159 000 zu aktualisieren«. Für Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, zeigen die Zahlen, dass es höchste Zeit sei, »den Panikmodus in der Asylpolitik zu verlassen«. »Statt unbarmherzig immer mehr Abschiebungen einzufordern, brauchen wir im Gegenteil mehr Humanität im Umgang mit Geflüchteten und effektive Bleiberechtsregelungen für die Menschen, die bereits länger im Land leben«, fordert Jelpke.

In die Berechnung der Zuwanderungszahlen sind laut Ministerium folgende Angaben eingeflossen: Asylerstantragszahlen, Zahlen für sogenannte Resettlement-Programme und humanitäre Aufnahmen, für den Familiennachzug nach Visaerteilung an Staatsangehörige der sieben Hauptherkunftsländer, darunter die Daten für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, die Zahl der Rückführungen inklusive Abschiebungen und sogenannte Dublin-Überstellungen sowie der freiwilligen Rückkehrer. Gleich an mehreren Punkten der Berechnungsgrundlage wird in der Anfrage Kritik geübt.

So wird nach der Zulässigkeit und nach einer Begründung dafür gefragt, dass »die hier geborenen Kinder von Geflüchteten«, die etwa ein Fünftel der Asylsuchenden ausmachten, »bei der Berechnung des Zuwanderungskorridors, bei der es um ›Zuwanderungszahlen‹ gehen soll«, berücksichtigt werden, obwohl die in Deutschland geborenen Mädchen und Jungen »offenkundig nicht ›zugewandert‹« seien. Auch dass bei den Zahlen zur freiwilligen Rückkehr nur die von einem Bund-Länder-Programm geförderten und nicht alle Ausreisen abgelehnter Asylbewerber berücksichtig werden, stößt auf Kritik. Ebenso wie die Tatsache, dass »eine unbekannte - nach Einschätzung der Fragestellenden aber fünfstellige - Zahl von Geflüchteten doppelt gezählt« werde. »Einmal bei der Zahl Asylsuchender, das andere Mal bei den nachziehenden Familienangehörigen.« Viele legal nachgezogene Angehörige stellten nämlich einen Asylantrag zur Statusklärung. 2018 verfügten demnach 18 338 »Asylsuchende zum Zeitpunkt der Asylantragstellung bereits über eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen«, heißt es in der Anfrage. Konkrete Antworten liefert die Bundesregierung weder zu den hier geborenen »Zuwanderern« noch zu den freiwilligen Ausreisen und der möglichen Doppelzählung.

»Bei einer realistischen Berechnung des sogenannten Zuwanderungskorridors kann für das Jahr 2019 von einer Zahl von weit unter 100 000 Menschen ausgegangen werden«, erklärt Jelpke. Und selbst mit den kritisierten Unschärfen kommt die Bundesregierung in ihrer Antwort zu dem Schluss, dass »für den Fall stabil bleibender Zuwanderungszahlen im zweiten Halbjahr 2019« für dieses Jahr nach jetzigem Stand »mit einer Zuwanderung von 140 000 bis 150 000« zu rechnen sei. Sie läge damit erneut erheblich unter der festgelegten Obergrenze. »Derzeit warten etwa 35 000 Menschen, meist Frauen und Kinder, nach vielen Jahren der Trennung sehnsüchtig darauf, zu ihren in Deutschland lebenden, subsidiär geschützten Familienangehörigen ziehen zu können«, so Jelpke. Die »unzweifelhaft bestehenden humanitären Aufnahmekapazitäten« sollten deshalb für eine Familienzusammenführung genutzt werden, verlangt sie.

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