Deutschland braucht eine Verbotspartei

Eine liberale Politik hat viel Unheil angerichtet, findet Roberto De Lapuente. Zeit, dass damit Schluss ist.

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Grünen haben einen bestimmten Ruf. Wenn man bei Google »Verbotspartei« eintippt, bietet die Suchmaschine ergänzende Wörter an: »kleinkariert« etwa – oder eben »die Grünen«. Das liegt auf der Hand, schließlich traut sich hier und da immer mal ein Grüner aus der Deckung, regt ein Verbot an: Dann trifft es Ölheizungen, Energydrinks für Jugendliche, jeden Tag Fleisch in der Kantine oder Retouren-Vernichtungen. Dass die Grünen aber Teil einer Bundesregierung waren, die wie keine zuvor liberalisierte und deregulierte, wird leider immer wieder vergessen. Natürlich auch von der FDP, die sich gerne als Anti-Verbotspartei verkauft und dabei neckisch zu den Grünen hinüberschielt.

Die Ökopartei mag zwar stets anmerken, dass man dies oder jenes verbieten müsste, aber eine Verbotspartei sei sie nicht. Das Rentenkonzept etwa, das die Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock vor einigen Monaten vorstellten, glänzte nicht dadurch, die Rente dem Markt zu verbieten. Im Gegenteil, der Markt sollte per Bürgerfond auf Aktienbasis involviert werden, bei der Alterssicherung der Bürger helfen.

Die Grünen reagieren ein bisschen so, wie der deutsche Spießbürger, der gerne darüber sinniert, dass manches eigentlich verboten gehöre. Das muss nicht zwangsläufig durchdacht oder ausgereift sein, sondern dient zunächst mal dem dumpfen Gefühl, den Missständen auf dieser Welt doch noch begegnen zu können. Die Verbotsabsicht ist gewissermaßen der Befreiungsschlag des in ein Wirrwarr geworfenen Menschen. Durch sie erfährt er Ordnung.

Verbotsrhetorik ist aber nur bürgerliche Folklore. Eben auch bei den Grünen. Sie rudern gemeinhin schon zurück, wenn die Parole von der Verbotspartei aufkommt. Das Label lehnt man ab. Es klingt negativ. Mit diesem Attribut glaubt man Wahlen nicht gewinnen zu können. Die Menschen hätten schließlich tierische Angst vor Verboten. Sie wollen den Liberalismus, die Unbegrenztheit - tun und lassen können, wie ihnen beliebt.

Mag sein, dass man als Verbotspartei nicht so leicht die Menschen anspricht. Aber klar dürfte sein: Wir brauchen eine Verbotspartei. Eine, die sich das Motto eines Staates, der nicht nur Laissez-faire gewährt, sondern einschränkt, absetzt und in Schranken weist, auf die Fahnen schreibt. Eine Verbotspartei ist immerhin nichts anderes als eine Partei, die das politische Primat reaktiviert.

Freiwillige Selbstkontrollen, freiwillige Tierwohllabel und freiwillige Richtgeschwindigkeiten auf der Autobahn: Diese Art von Liberalismus ist längst nicht mehr zeitgemäß. Eine immer enger werdende Erde, auf der um Ressourcen und Platz gestritten wird, kann sich die schöne liberale Losung, wonach jeder tun und lassen könne, wie er möchte, nicht mehr leisten. Man braucht Rücksichtnahmen, Verbindlichkeiten und Garantien. Gebraucht werden Verbote von laxen Produktionsverfahren und Verbote von Egotouren überhaupt.

Ob nun Klimawandel oder Mobilität, ob Wohnungspolitik oder Arbeitsmarkt: Nur Verbote von fahrlässigen, ausbeuterischen und zerstörerischen Praktiken haben das Potenzial, etwas zu verändern. Die Haltung, die man speziell in der deutschen Industriepolitik spürt, wenn sich Bundesgesundheitsministerin Julia Klöckner (CDU) sich mal wieder bei den Lebensmittelkonzernen für das zwanglose Gespräch bedankt, können wir uns nicht mehr leisten. Die Konzerne nutzen die Freiwilligkeit letztlich nur als PR – durch sie stilisieren sie sich als verantwortungsbewusste Unternehmen, als grüne Weltverbesserer.

Mit dem zwanglosen Bewusstsein erreicht man nichts. Konsumenten auf umweltbelastende Waren, Autofahrer auf Feinstaub aufmerksam zu machen, in der Hoffnung, jetzt hätten sie es kapiert: Das klappt nur unzureichend. Unternehmen bewusstmachen, dass sie Raubbau betreiben: Kann man machen - ändert aber nichts. Es braucht Regulierung, Verbote und Gebote, eine Sanktionsbereitschaft und eine Steuerung durch die Steuererhebung.

Eine etwaige Verbotspartei wäre nicht nur besser als ihr Ruf: Sie wäre auch die logische Alternative auf einen Liberalismus, der so tut, als sei die Ausbeutung von Mensch und Welt das ureigenste Recht des Konsumenten. Und wer weiß, eventuell sind die Bürgerinnen und Bürger gar nicht abgeneigt, sich bei Wahlen für eine solche Ordnungspartei zu entscheiden. Sie spüren vermutlich, dass wir jemanden brauchen, der nicht noch mehr Freiheit wagen will.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Mehr aus: Der Heppenheimer Hiob