- Aus dem Netz gefischt
- Renate Künast
Landgericht erklärt Hetze gegen Grünen-Politikerin für legal
Warum ein Urteil aus Berlin zu Hatespeech im Fall Renate Künast schockiert
Politiker müssen sich in verbalen Auseinandersetzungen viel gefallen lassen. Es gilt der Grundsatz: Wer hart austeilt, muss auch viel einstecken können. Das Berliner Landgericht hat vor kurzem eine Entscheidung getroffen, die sich liest, als hätte es in den letzten Jahre keine gesellschaftlichen Debatten über Hasskommentare im Netz und deren Folgen gegeben. Philipp Siebert schreibt auf morgenpost.de, das Urteil lese »sich wie Satire«. Allerdings keine, über die jemand lachen könnte.
Die Grünen-Politikerin Renate Künast hatte vor dem Gericht versucht, von Facebook die Herausgabe von Klarnamen von insgesamt 22 Nutzern zu erwirken, die die Bundestagsabgeordnete unter einem inzwischen gelöschten Beitrag des Rechtsextremisten Sven Liebich auf dem sozialen Netzwerk schwer beleidigt hatten.
Das Berliner Landgericht wies die Klage ab und erklärte, in allen Fällen handele es sich um »zulässige Meinungsäußerungen«. Von einer Schmähung sei nicht auszugehen, weil »die Äußerungen im Kontext einer Sachauseinandersetzung« stünden.
Was das Gericht eine Sachauseinandersetzung nennt, ist ein Vorgang, der auf eine Äußerung Künasts im Berliner Abgeordnetenhaus vor über 33 Jahren zurückgeht. In der damaligen Debatte zu häuslicher Gewalt wollte ein CDU-Politiker wissen, wie die Grünen zum Beschluss ihres nordrhein-westfälischen Landesverbandes stehen, Geschlechtsverkehr mit Kindern zu entkriminalisieren. Künast soll laut eines Berichts der »Welt« aus dem Jahr 2005, den Liebich auf Facebook erst dieses Frühjahr teilte, mit den Worten »Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist« reagiert haben.
Liebich griff dies in seinem Post auf und ergänzte Künasts Anmerkung mit den Worten »...ist Sex mit Kindern doch ganz ok«. Das Berliner Landgericht erklärte nicht nur Liebichs Deutung für zulässig, Künast habe damals Geschlechtsverkehr mit Kindern verteidigt - was die Politikerin bis heute zurückweist -, sondern sieht ebenso kein Problem darin, eine Äußerung aus dem Jahr 1986 als Rechtfertigung für aktuelle verbale Attacken gegen Künast heranzuziehen.
So muss es sich die Grüne gefallen lassen, von einem Nutzer auf Facebook als »Drecks Fotze« (sic!) bezeichnet zu werden, weil es laut Richter einen Sachbezug zur damaligen Debatte im Abgeordnetenhaus gebe. Gleiches gilt für die in eine Bildmontage eingefügte Vergewaltigungsdrohung (»Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!«), die vom Gericht zwar als geschmacklose Kritik bezeichnet wurde, aber laut Urteil mit dem »Stilmittel der Polemik sachliche Kritik übt«, wie die »Morgenpost« zitiert. Eine ebenso zulässige Kritik sei es, zu schreiben: »Wurde diese ›Dame‹ vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt ...«, und Künast als »Stück Scheiße« , »hohle Nuss« und »Geisteskranke« zu bezeichnen.
Als »schlechten Witz und ein fatales Signal für alle Frauen, die im Netz bedroht und beleidigt werden«, bezeichnete die Vorsitzende der Grünen Jugend, Ricarda Lang, das Urteil. Laut »Tagesspiegel« hat Künasts Anwalt Beschwerde gegen das Urteil eingelegt.
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