- Politik
- Umgang mit Rechts
Eure AfD-Versteherei ist klassistisch und nervt
Der Weg von Abgehängtheit zu Rassismus führt quer durchs Arschlochsein.
Es ist längst Zeit, zuzugeben, dass wir von rassistischen Arschlöchern umzingelt sind. Stattdessen kommt gefühlt jeder zweite Heini des Landes mit langweiliger AfD-Wähler:innen-Versteherei daher. Die würden ja nur so wählen, weil sie »abgehängt« seien, oder »aus Protest«. Und nur weil man rechtsradikale Rassisten wählt, wäre man nicht gleich rassistisch. Man muss erstmal paar Moscheen abfackeln und auch dann ist es nur »mutmaßlich« rassistisch, oder was?
Ehrlich gesagt bin ich genervt, dass ich solche Basics überhaupt erklären muss. Aber das ist sowieso ne Rant-Kolumne, also Augen auf und durch.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Mehrere Studien beweisen, dass AfD Wähler:innen überhaupt nicht abgehängt sind. Einkommen, Bildungsniveau, regionale Infrastruktur – nichts ist bei AfD-Wähler:innen auffallend anders als bei Wähler:innen anderer Parteien. Die AfD wird mit ekelerregend großen Prozentzahlen sowohl in ärmeren, als auch in reichen Regionen gewählt. Andererseits gibt es sehr arme Regionen, in denen die AfD keine großen Wahlerfolge erzielt.
Das Einzige, das sie von Wähler:innen anderer Parteien unterscheidet, ist, dass sie eher an rassistische Wahnvorstellungen von »dem Untergraben Deutschlands durch Ausländer« - Zitat Studie - glauben. Und ja, dass diese AfD-Wählende eher rassistisch sind ist nicht nur normaler Menschenverstand, sondern auch durch Studien bewiesen.
Aus Protest kann man auch - wie wär's damit -
protestieren
Auch bei der Ausrede, Leute würden aus Protest die AfD wählen, »um es den Altparteien so richtig zu zeigen«, müssen wir einiges beachten. Erstens, dass »Altparteien« ein von Göbbels erfundener Begriff ist, der die NSDAP positiv von den anderen abgrenzen sollte. Zweitens, dass man aus Protest auch – wie wär's damit – protestieren kann. Drittens, dass man aus Protest Die Partei, FDP oder andere Witzparteien wählen kann. Der Grund, warum sich angebliche »Protestwähler:innen« bewusst gegen Die Partei und für die AfD entscheiden ist einfach, dass sie für die AfD sind.
Bei anderen Parteien sucht man keine Erklärungen: Leute wählen SPD, Grüne oder CDU, weil sie SPD, Grüne oder CDU gut finden. Nur AfD-Wähler:innen werden als naive, unmündige Kiddies dargestellt, die nicht wissen was sie tun. Nette Kiddies, die »abgehängt« meinen, aber »Ausländer raus« wählen.
Hier wird also fehlende Intelligenz implizit mit Armut verbunden: »Die sind arm und abgehängt und haben keine Ahnung was sie tun, wenn sie Rechtsradikale wählen.« Diese Verbindung ist tief klassistisch. In Armut lebenden Menschen wurden jahrhundertelang Wahlrecht, Selbstbestimmung und Menschenrechte aberkannt, weil sie als weniger intelligent galten. Dieser historisch gewachsene Klassismus wird reproduziert, wenn man AfD-Wählende als arm und blöd darstellt. Niemandem kann entgangen sein, dass die AfD gegen Flüchtlinge, Muslime und People of Color ist – schließlich hat sie im Gegensatz zu anderen Parteien kaum ein anderes Thema. AfD-Wählende wissen ganz genau was sie tun.
Rassismus wurde von reichen Akademiker:innen
erfunden
Ein weiterer Aspekt des Abgehängtheits-Mythos ist die Annahme, dass nur arme Menschen rassistisch wären. Das ist so ziemlich das Gegenteil der Realität. Rassismus wurde von reichen Akademiker:innen mit pseudo-wissenschaftlichen Methoden erfunden und als Teil politischer und gesellschaftlicher Strukturen instrumentalisiert um Kolonialismus, Sklaverei, Kriege und Ausbeutung zu rechtfertigen. Beispielsweise stellten reiche Landbesitzer und Sklavenhalter in den USA bewusst unterschiedliche Regeln für arme Weiße und für Sklav:innen, sowie andere People of Color auf. Damit wollten sie gemeinsame Widerstandskämpfe zu verhindern.
Auch in Deutschland sind die Anfänge des Rassismus auf Reichtum und Macht zurückzuführen: Eugenik, rassistische Gesetze, die Plünderung und Zerstörung von Kolonien, in Weltkriegen angegriffenen Ländern und Menschen, sowie später die Ausbeutung und Ausgrenzung von Vertrags- und Gastarbeiter:innen. All das war nicht die Idee von in Armut lebenden Menschen, sondern von reichen und machtvollen Gruppen, Politiker:innen und Konzernen, die durch diese kalkulierten Grausamkeiten noch reicher und machtvoller wurden.
Klar, arme Menschen können auch rassistische Verbrechen begehen (und das ist schon allzu oft passiert), aber die Basis für ihren Rassismus wurde erst durch die erwähnten Grausamkeiten erschaffen und weitergeführt. Auch bei der AfD ist klar, dass die Chefideolog:innen keine armen Menschen sind (zumindest finanziell). Beispielsweise ist die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch eine Adlige. Ihr Großvater Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk war außerdem Adolf Hitlers Reichsfinanzminister und wurde als Kriegsverbrecher verurteilt. Also keine Spur von Abgehängt.
So zu tun, als würde antirassistisches Bewusstsein mit dem Kontostand mitwachsen, ist klassistische Kackscheisse.
Aber da ich nix lieber hab, als »Argumente«, die man widerlegen kann, selbst wenn man ihren Inhalt erst einmal als Wahrheit akzeptiert – tun wir mal so als wären AfD-Wähler:innen wirklich abgehängt. Was haben dann wir Ausländer:innen mit dem ganzen zu tun?
Ich bin doch nicht höchstpersönlich durch Sachsen gelaufen um massenhaft langweilige Jobs zu klauen. Wenn ihr Migrant:innen und People of Color mit deutscher Abgehängtheit in Verbindung bringt, dann sagt doch gleich »Ausländer nehmen uns die Jobs weg!«, denn mit dieser ganzen Scheiße übernehmt ihr die Argumentation von Nazis, welche »Ausländer« für Armut verantwortlich machen. AfD-Versteherei ist also nicht »nur« klassistisch, sondern auch rassistisch (wow, was ne Überraschung).
Und selbst wenn die Abgehängtheit von AfD-Wähler:innen real wäre, Migrant:innen und People of Color sind viel abgehängter – und müssen viel mehr Scheiße ertragen. Eine kleine, spontane Kostprobe der Probleme, die uns betreffen: prekäre Aufenthaltsrechte und Abschiebungsangst, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche und im Bildungssystem, fehlende Repräsentation und Rassismus in den Medien, NSU Terror, NSU 2.0, Brandanschläge, tägliche rassistische Gewalt, rechtsextreme Schattenarmeen in der Bundeswehr und die bloße Existenz der AfD. All das führt natürlich auch zu größerer Armut unter Migrant:innen und People of Color.
Warum gibt es keinen türkeistämmigen NSU, der durchs Land reist und Weiße ermordet?
Seid mal ehrlich: Warum gibt es trotz all dieser realen Abgehängtheit keine vietnamesischen und vietdeutschen Brandanschläge, als Rache für Rostock-Lichtenhagen? Keinen türkeistämmigen NSU, der durchs Land reist und Weiße ermordet? Keine Massendemos Schwarzer Menschen auf denen Weiße gejagt und geschlagen werden? Kein afghanisches Netzwerk in der Bundeswehr, das Mordlisten erstellt und Waffen sammelt um deutsche Zivilist:innen zu bombardieren? Und keine Partei von Flüchtlingen und Muslim:innen, die als Hauptthema und Wahlkampftaktik gegen Weißdeutsche Nichtmuslim:innen hetzt? Hmm, Marktlücken...
Rassismus mit Abgehängtheit zu rechtfertigen ist wie Sexismus mit fehlenden Versandoptionen für Fußpilzcreme zu rechtfertigen: das eine hat einfach nix mit dem anderen zu tun. Der Weg von Abgehängtheit zu Rassismus führt quer durchs Arschlochsein.
Aber gehen wir noch einen Schritt weiter in die Ausredenhölle und stellen uns vor, dass AfD-Wähler:innen abgehängt wären (sind sie nicht), und dass Abgehängtheit Rassismus produzieren würde (tut sie nicht).
Muss Jusuf sterben, weil Josef seinen Job kacke findet?
Selbst dann gilt: lebensbedrohliche rassistische Gewalt und gefühlte Abgehängtheit sind nicht annähernd auf dem gleichen Niveau des Scheißeseins. Muss Jusuf sterben, weil Josef seinen Job kacke findet?
Nachdem wir geklärt haben, dass AfD-Versteherei nicht nur faktisch falsch, sondern auch klassistisch und rassistisch ist, kommen wir zum Hauptproblem: Gefährdung von Menschenleben.
Es gibt jeden Tag rassistische Angriffe gegen Menschen, Moscheen, Flüchtlingsheime. Wer offenen Rassismus und beste Verbindungen zur Neonazi-Szene nicht als Deal-Breaker empfindet und sich bewusst dazu entscheidet, die Leben von marginalisierten Menschen noch mehr zu gefährden, indem er*sie der AfD institutionelle und gesellschaftliche Macht gibt, ist rassistisch. Ja, so einfach ist es. Nein, ich muss und werde nicht zwischen verschiedenen Stufen des Naziseins differenzieren, während mein Leben gefährdet wird.
Alle, die mit ihrer AfD-Versteherei den Kampf gegen die AfD sabotieren, machen sich mitschuldig. Also hört auf - oder gebt zu, dass ihr nicht viel besser seid, als die, die ihr verharmlost.
Mehr Rants von Melina Borčak:
»Ich bin einfach nur Mensch« – Nein, du bist einfach nur privilegiert
Tone Policing: Nein, Lars, ich muss nicht nett sein.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.