Alterspräsidentin drohte mit Ordnungsruf

Als die AfD-Abgeordnete im Landtag gegen den Import »fremder Werte« polemisierte, schallte es: »Aufhören!«

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen Vorgeschmack auf das, was die brandenburgische Politik in den kommenden fünf Jahren prägen wird, lieferte am Mittwoch die konstituierende Sitzung des Landtags. Als die 73-jährige Alterspräsidentin Marianne Spring-Räumschüssel (AfD) ihre Rede hielt, drohte sie ob der entstehenden Unruhe einmal, Zwischenrufer mit einem Ordnungsruf zu disziplinieren. In ihrer Rede hatte sie sich auf den Schriftsteller Theodor Fontane (1819-1898) berufen und gefragt, was dieser zur Zuwanderung »fremder Werte« gesagt hätte. Daraufhin hatte sie sich ein Wort anhören müssen: »Aufhören!«

Auf hörbare Unzufriedenheit stieß Spring-Räumschüssel auch, als sie dazu ansetzte, ihren Parteifreund Alexander Gauland zu zitieren, der den Landtag vor fünf Jahren als Alterspräsident eröffnet hatte. Der aus seiner Rede entnommene Satz war jedoch eher banal. Er lautete: »Ein gutes Mitglied des Parlaments zu sein, ist keine leichte Aufgabe.«

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Grünen-Fraktionschefin Ursula Nonnemacher bezeichnete nachher die Rede von Spring-Räumschüssel als »Tiefpunkt« der ersten Parlamentssitzung nach der Landtagswahl vom 1. September. Linksfraktionschef Sebastian Walter hatte vor sich auf dem Tisch demonstrativ eine der Wolfsskulpturen des Künstlers Rainer Opolka stehen. Mit seinen im Original sehr großen und schweren Wölfen hat sich Opolka ganz klar gegen die AfD positioniert.

Beim protokollarischen Prozedere unterlief der Alterspräsidentin, die 1946 in Forst geboren wurde und sich als »waschechte Brandenburgerin« vorstellte, das Missgeschick, dass sie über zwei Anträge doppelt abstimmen ließ. Bei der Wahl der Landtagspräsidentin erhielt die einzige Kandidatin Ulrike Liedtke (SPD) 77 von 88 abgegebenen Stimmen. Das heißt, es müssen in geheimer Wahl auch einige AfD-Abgeordnete für sie votiert haben. Fünf Abgeordnete stimmten gegen Liedtke und sechs enthielten sich. Die Bürger haben am Wahltag »sehr unterschiedlichen Parteien« ihre Stimme gegeben, das werde ihre Arbeit bestimmen, erklärte Liedtke im Anschluss.

Zum ersten Vizepräsidenten wurde mit 36 Stimmen Andreas Galau (AfD) gewählt. Das waren mehr Stimmen, als die AfD Landtagsabgeordnete hat. 20 Abgeordnete stimmten gegen Galau und 31 enthielten sich. Eine Stimme war ungültig. Die Grünen schlossen aus, dass es Ja-Stimmen aus ihrer Fraktion für Galau gegeben habe. Die LINKE hatte vorab angekündigt, geschlossen gegen den AfD-Mann zu stimmen.

Als Vizepräsidentin wurde Barbara Richstein (CDU) gewählt. Sie erhielt 75 Stimmen und neun Gegenstimmen, außerdem gab es bei ihr vier Enthaltungen. Bei der Wahl des Landtagspräsidiums fiel Daniel Freiherr von Lützow (AfD) in zwei Wahlgängen durch. Das sei »in erster Linie das Ergebnis einer zielgerichteten Medienkampagne«, schimpfte AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz. Völlig unbegründet, so behauptete Kalbitz, sei die Verfassungstreue von Lützows in Zweifel gezogen worden. Ins Präsidium gewählt wurden dagegen beispielsweise Mike Bischoff und Björn Lüttmann (beide SPD) sowie Sahra Damus (Grüne).

Auf der Besuchertribüne verfolgten Minister des bisherigen rot-roten Kabinetts das Geschehen, die kommissarisch weiter im Amt bleiben, bis es eine neue Regierung gibt. Es waren jene Minister, die nicht Abgeordnete des Landtags sind. Auch ehemalige Landtagsabgeordnete fanden sich als Zaungäste ein - solche, die nicht wieder kandidiert hatten, und solche, die nicht wieder gewählt wurden.

In den vergangenen Wochen hatten Handwerker im Plenarsaal fleißig gewerkelt und die Sitzreihen an die neuen politischen Kräfteverhältnisse angepasst. Die auf zehn Abgeordnete zusammengeschmolzene Linksfraktion sitzt nun tatsächlich am äußersten linken Rand, wo früher die Grünen und die drei Freien Wähler ihre Stühle hatten, während die LINKE dazumal weiter rechts neben ihrem damaligen Koalitionspartner SPD saß. Am rechten Rand ist die auf 23 Abgeordnete angeschwollene AfD platziert. Die in Brandenburg traditionell starke SPD-Fraktion zählt nur noch 25 Mitglieder, so wenige wie nie zuvor. Sie ist aber weiterhin die stärkste Fraktion im Parlament. Ihr rechts zur Seite sitzt die CDU, die bei der Wahl am 1. September ebenfalls Federn lassen musste und nur noch 15 Abgeordnete stellt. Zwischen CDU und AfD sitzen stolz die nun in Fraktionsstärke vertretenen fünf Abgeordneten der Freien Wähler.

Noch nie habe es ein solches Stühlerücken gegeben, noch nie seien so viele Abgeordnete des Landtags durch Neuzugänge ersetzt worden, hatte Alterspräsidentin Spring-Räumschüssel bemerkt. Maßgebliche Politiker der vergangenen Jahre wie der scheidende Finanzminister Christian Görke (LINKE) und der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende Ingo Senftleben sind zwar Landtagsabgeordnete, mussten nun aber als Hinterbänkler Platz nehmen.

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