Viele Tote für wenige Stimmen

Bei der afghanischen Präsidentschaftswahl am Sonntag werden voraussichtlich 2000 Wahllokale geschlossen bleiben - aus Sicherheitsgründen

  • Philip Malzahn
  • Lesedauer: 3 Min.

Hamid Karzai, der erste Präsident nach dem Einmarsch US-amerikanischer Truppen und dem Ende der Talibanherrschaft 2001, hat in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP die anstehende Wahl folgendermaßen beschrieben: »Es ist, als würde man einen Herzkranken einen Marathon laufen lassen.«

Aus Regierungskreisen erntete Hamid Karzai dafür nicht nur Kritik. Zwar hieß es aus dem Präsidentenpalast, man würde damit den demokratischen Prozess in den Dreck ziehen. Doch um Karzai selbst hat sich eine Gruppe aktiver Politiker geschart, die sich in einer gemeinsamen Erklärung dafür ausgesprochen haben, die Wahl zu verschieben. Obwohl Karzais Präsidentschaftsära vielen vor allem wegen der massiven Vetternwirtschafts- und Korruptionsvorwürfen in Erinnerung geblieben ist - sein Halbbruder Walid war bis zu seiner Ermordung 2011 einer der größten Drogenhändler des Landes - hat er in einem Recht: Die Bevölkerung ist erschöpft, denn das Land befindet sich seit 40 Jahren quasi im permanenten Kriegszustand.

Die Angst, die daraus resultiert, bestimmt auch in diesen Tagen die Präsidentschaftswahl. Keiner der 18 Kandidaten genießt außerordentliche Beliebtheit oder gilt als schillernde Hoffnung. Neben dem Präsident Aschraf Ghani werden seinem bisherigen Regierungschef Abdullah Abdullah die meisten Chancen zugerechnet.

Doch wie repräsentativ das Ergebnis der Wahl für den tatsächlichen Willen der Bevölkerung sein wird, ist völlig offen. In vielen Gebieten ist es schlicht lebensgefährlich, an der Abstimmung teilzunehmen. Etwa die Hälfte des Landes wird von den Taliban kontrolliert. Sie haben gedroht, jeden, der wählen geht, umzubringen. Alleine im August sind laut des britischen Senders BBC 473 Zivilsten durch Anschläge oder Kampfhandlungen getötet worden.

Mehr als 9,6 Millionen Afghanen sind wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl 2014 lag bei 58 Prozent, doch bei der um drei Jahre verspäteten Parlamentswahl 2018 machten nur noch 39 Prozent der registrierten Wähler von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Fast 2000 Wahllokale werden diesmal aus Sicherheitsgründen geschlossen bleiben. Die verbleibenden 4942 sollen von etwa 72 000 Sicherheitskräften bewacht werden. Armee und Polizei haben zugesichert die Wähler zu schützen. Doch einige Tage vor der Wahl war unklar, inwieweit alle Provinzen mit Stimmzetteln beliefert wurden. Dennoch ist man in Kabul optimistisch: »Alle Wahlunterlagen werden in den kommenden Tagen in die Provinzen geschickt werden«, versprach der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Fawad Aman.

In der vergangenen Woche töteten die Taliban bei einem Attentat auf eine Wahlkampfveranstaltung des Präsidenten mindestens 26 Menschen. Es war eine der wenigen Kundgebungen, die Ghani persönlich bestritt. Wegen der Gefahr sprach der 70-Jährige meist über Skype oder Telefon zu den Menschen.

Erst Anfang September ließ Donald Trump die jahrelangen Friedensverhandlungen mit den Taliban platzen, »endgültig«, wie er selbst erklärte. Geplant war ein vollständiger Abzug aller ausländischen Truppen im Gegenzug für Garantien der Taliban, das Land künftig nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen zu machen. Die Regierung in Kabul warf der USA vor, sie dadurch den Taliban hilflos auszuliefern. Die Entscheidung Trumps fiel, nachdem bei einem Anschlag ein US-amerikanischer Soldat gestorben war. Mit Agenturen

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