Für Gott und Kapital

Sebastian Kurz hat Österreich nach rechts gerückt. Dabei hatte er starke Helfer.

  • Benjamin Opratko
  • Lesedauer: 7 Min.

Vater, wir danken dir so sehr. Für die Weisheit, die du ihm gegeben hast. Für das Herz, das du ihm gegeben hast für dein Volk.« Die Szene hätte man eher im Bibel-Gürtel des Mittleren Westens der USA erwartet: Ein Politiker lässt sich von einem Prediger segnen, Tausende jubeln dem Mann auf der Bühne zu. Doch die Szene fand in der ausverkauften Wiener Stadthalle statt, und der Politiker war Sebastian Kurz, jüngster Altkanzler in der Geschichte der Republik Österreich.

Die Show mit dem US-amerikanischen Evangelikalen-Prediger Ben Fitzgerald war ein ungewöhnlicher Wahlkampf-Auftritt im katholischen Österreich. Traditionell demonstriert die ÖVP die Unterstützung durch kirchliche Würdenträger auf subtilere Weise. Dass ein Spitzenkandidat auf offener Bühne und unter dem Johlen seiner Fans quasi gesalbt wird, bricht mit dem inoffiziellen Protokoll der altehrwürdigen konservativen Partei. Und gerade deshalb sagt die kuriose Begebenheit so viel aus über das Projekt des Sebastian Kurz.

Schon im Herbst 2016, als Kurz noch Außenminister einer SPÖ-geführten Großen Koalition war, bereitete sich ein Kreis von Vertrauten auf das »Projekt Ballhausplatz« vor. Der Ballhausplatz in der Wiener Innenstadt ist Sitz des Bundeskanzleramts. Ziel des Projekts, das sich anhand von geleakten Dokumenten nachvollziehen lässt, war, Kurz dorthin zu bringen und der ÖVP langfristig die Kanzlerschaft zu sichern. Das sollte durch drei Manöver gelingen.

Erstens galt es, die Partei auf stramm rechten Kurs zu bringen. Kurz, der lange als liberal in Migrations- und Integrationsfragen galt, musste sich dafür politisch neu erfinden. Als 2016 die »Willkommenskultur« auch in Österreich zunehmend einer von rechts befeuerten »Ablehnungskultur« wich, schwenkte Kurz daher radikal um. Migrationsabwehr wurde sein wichtigstes politisches Anliegen, offene Grenzen das Feindbild. Innenpolitisch beschwor Kurz nun die Gefahren des »politischen Islam« und forderte staatliche Kleidungsvorschriften für muslimische Frauen (»Kopftuchverbot«).

Rassismus + Opportunismus

Über das Mischverhältnis von aufrichtigem Rassismus und politischem Opportunismus in Kurzens Kehrtwende kann man nur spekulieren. Fakt ist, dass die rechte Neuausrichtung Kern des »Projekts Ballhausplatz« war. In den internen Dokumenten wird das knapp so beschrieben: »FPÖ-Themen, aber mit Zukunftsvision«. Wo die Rechtsextremen nur fordern und poltern, sollte Kurz rassistischen Furor mit Handlungsfähigkeit verbinden. Das gelang. Seinen Wahlkampf 2017 führte Kurz im Wesentlichen mit dem Stehsatz »Ich habe die Balkanroute geschlossen!«

Der Strategie lag eine einfache Rechnung zugrunde. 2016 hatte die denkbar knapp gescheiterte Kandidatur des FPÖ-Politikers Norbert Hofer zum Bundespräsidenten gezeigt, dass das rechte Potenzial noch weit größer war, als es die Erfolge der »Freiheitlichen« bislang angezeigt hatten. Der Journalist Michael Bonvalot fasste das Kalkül so zusammen: »Falls es der ÖVP gelingen würde, einen großen Teil der Hofer-Stimmen hinter sich zu versammeln - und gleichzeitig jene ÖVP-Wähler*innen zu halten, die den Ex-Grünen Alexander Van der Bellen zum Präsidenten gewählt hatten - wäre eine substanzielle rechte Mehrheit mit der ÖVP an der Spitze möglich.« Die Rechnung ging auf, die Kurz-ÖVP erhielt 31,5 Prozent der Stimmen und konnte mit der FPÖ eine Koalitionsregierung mit weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmungen bilden.

Neben der inhaltlichen Anpassung war das Kurz-Projekt zweitens auf den Umsturz der Machtverhältnisse innerhalb der ÖVP angewiesen. Die Partei, die seit 1945 bis auf 16 Jahre immer Teil der Regierung war, ist ein komplex ausbalanciertes Kräftegleichgewicht. Als Bünde organisierte Interessenvertretungen von Wirtschaft, Beschäftigten und Bauern, inoffizielle Machtzentren wie das Imperium der Raiffeisenbank, starke Landesparteien mit machtbewussten Chefs - die ÖVP hatte nach innen stets viele Interessen zu bedienen. Sebastian Kurz trat an, den gordischen Knoten zu zerschlagen. Er intrigierte gegen seinen damaligen Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, sicherte sich die Unterstützung des Großkapitals und stellte seine eigene Partei vor die Wahl: Entweder ihr gebt mir bislang ungekannte Machtfülle und ich führe euch zum Wahlsieg. Oder ich trete mit einer eigenen Liste und der Unterstützung meiner potenten Großspender an.

Die ÖVP-Funktionär*innen entschieden sich für die erste Variante. Kurz installierte seine Clique an den wichtigsten Parteipositionen und erhielt das verbriefte Recht, sämtliche Kandidat*innen auf allen Bundes- und Landeslisten zu bestimmen. Verlierer dieses parteiinternen Putsches waren die Großkoalitionäre in der ÖVP, die der sozialpartnerschaftlichen Verwaltung des Landes verbunden sind und »wirtschaftsfreundliche« Politik lieber unter Einbindung von SPÖ und Gewerkschaftsspitzen durchsetzen wollen. Die »Neue Volkspartei« unter Sebastian Kurz war darauf ausgerichtet, der ewigen Großen Koalition und damit auch der Sozialpartnerschaft den Todesstoß zu versetzen.

Das war schließlich auch der Grund, weshalb Kurz die großzügige Unterstützung aus Industrie und Bankenwelt überhaupt erhalten hatte. Mächtige Kapitalfraktionen in Österreich waren ungeduldig geworden, sahen sich im europäischen und globalen Konkurrenzkampf übervorteilt. Neidisch blickten die Chefs der Export- und Tourismusindustrie auf den durch die Agenda 2010 geschaffenen Niedriglohnsektor in Deutschland. Kapitalkräftige Investoren gierten nach bislang staatlich geschützten Bereichen wie Wohnungsmarkt, Unfall- oder Krankenversicherungen. Die »großen Strukturreformen« im Sinne dieser Akteure konnten im sozialpartnerschaftlichen Modus - trotz geschwächter Gewerkschaften und willfähriger Sozialdemokraten - nicht durchgesetzt werden. Dafür brauchte es eine rechte Mehrheit, dafür brauchte es Sebastian Kurz und dafür brauchte es auch die FPÖ an der Regierung, die schon immer den Einfluss der verhassten »Roten« abstellen wollte. Deshalb war das Projekt Ballhausplatz von Anfang an auch ein Projekt Türkis-Blau.

Die Farbe Türkis, das war die dritte Säule der Kurz-Strategie, signalisierte die Inszenierung der ÖVP als neue Kraft. Die alte Parteifarbe schwarz wurde aufgegeben, der Außenauftritt zu 100 Prozent auf die Person Sebastian Kurz zugeschnitten und der Stab an Pressesprechern, PR-Mitarbeitern und Inszenierungskünstlern vervielfacht. Wie erst kürzlich bekannt wurde, verschuldete sich die Partei dafür massiv und überschritt die gesetzliche Obergrenze für Wahlkampfkosten um fast ein Drittel. Doch die Investition lohnte sich und trug Kurz ins Kanzleramt.

Affären ohne Folgen

Die Fokussierung auf die Person Kurz hat im aktuellen Wahlkampf skurrile Züge angenommen. Damit sind wir zurück beim evangelikalen Gebet in der Wiener Stadthalle, das allerdings für einigen Spott gesorgt hat. Auch an anderen Stellen scheint etwas Lack von der Lichtgestalt abzublättern. Mehrere im Nachhall der Ibiza-Affäre aufgetauchte Skandale betreffen die ÖVP direkt. In der sogenannten Schredder-Affäre wurde bekannt, dass ein ÖVP-Mitarbeiter unter falschem Namen und auf ungewöhnliche Weise Festplatten des Bundeskanzleramts vernichten ließ. Auch das Überschreiten der Spendenobergrenzen für Parteien, inklusive des Verdachts auf doppelte Buchführung, kratzt am Saubermann-Image. Und zuletzt machten sich auch »anständige« Konservative und verprellte Liberale, darunter einst hochrangige Funktionäre der ÖVP, öffentlich gegen Kurz bemerkbar.

Dennoch wird der Wahlsieger am Sonntag Sebastian Kurz heißen. Die jüngsten Umfragen sehen die ÖVP bei rund 35 Prozent, mehr als 2017. Schon vor der Ibiza-Affäre erfreute sich die rechts-rechte Regierung außergewöhnlich hoher Beliebtheitswerte. Kurz und Strache hatten im doppelten Sinne geliefert. Einerseits setzten sie um, was das Kapital von ihnen erwartet hatte: Verlängerung der maximalen Arbeitszeit, Steuererleichterungen für Konzerne, Umbau der Sozialversicherung im Sinne großer Unternehmen. Andererseits lieferten sie auch in dem Feld, das den Wähler*innen beider Parteien am wichtigsten war: Schikanen gegen Migrant*innen und Asylsuchende, Diskriminierung von Muslim*innen und rassistische Sozialpolitik, etwa durch das Knüpfen von Unterstützungsleistungen an Deutschkenntnisse. Dazu wurden die Budgets für Militär und Polizei erhöht, die Überwachung des öffentlichen Raums und des Internet ausgeweitet.

Sebastian Kurz, der in Stil wie Inhalt den autoritären Populismus der FPÖ kopiert, holt nun die Ernte ein auf dem Feld, das die FPÖ über Jahrzehnte bestellt hat. Die Ibiza-Affäre ermöglicht ihm sogar, mit einer geschwächten FPÖ nach der Wahl die rechts-rechte Regierung unter für ihn noch günstigeren Bedingungen fortzuführen.

Ob er das auch will, ist noch offen. Dafür spricht, dass viele der projektierten Reformen für das Großkapital noch nicht umgesetzt werden konnten. Die zwei größten Brocken sind wohl der Umbau des Mietrechts, um Investitionen in Immobilien noch lukrativer zu machen, und eine Rentenreform, um Lohnabhängige länger arbeiten zu lassen. Beides wäre mit der FPÖ wohl eher durchsetzbar als mit SPÖ oder Grünen - und für eine Koalition nur mit den liberal-bürgerlichen Neos, die beides vorbehaltlos unterstützen, werden die Stimmanteile wohl nicht reichen. Vor allem spricht für Türkis-Blau II aber, dass der Rassismus gegen Asylbewerber*innen, Arbeitsmigrant*innen und Muslim*innen wesentlicher Bestandteil der Kurz’schen Erfolgsformel ist. Hier holt er sich die Zustimmung, die er allein mit seiner unternehmensfreundlichen Politik nicht erlangen könnte. Was in Deutschland soziologisch als »Verrohung des Bürgertums« beschrieben wird, verdichtet sich in Österreich bereits im politischen Betrieb: als autoritärer Populismus an der Macht.

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