Einkommensungleichheit wächst

»WSI-Verteilungsbericht 2019«: Vom Konjunkturboom haben viele nicht profitiert

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutschland blickt auf ein Jahrzehnt wirtschaftlicher Erfolge zurück. Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt waren robust, und insgesamt konnte der Wohlstand deutlich gemehrt werden. So stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit der Finanzkrise von rund 2,5 Billionen auf 3,5 Billionen Euro in diesem Jahr. Allerdings haben diese positiven Entwicklungen längst nicht allen Menschen genützt. Wie der an diesem Montag erscheinende »WSI-Verteilungsbericht 2019« des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, ist die Ungleichheit nach wie vor gravierend, und Armut bleibt kein Randphänomen.

Spätestens seit der Finanzkrise hat das Thema Einkommensungleichheit einen festen Platz auf der politischen und medialen Tagesordnung. Nicht nur in Deutschland: Auch internationale Organisationen wie die OECD oder der Internationale Währungsfonds (IWF), die lange Zeit in dem Ruf standen, verteilungspolitische Fragen zu missachten und eine ausschließlich neoliberale Politik zu verfolgen, setzen sich inzwischen regelmäßig damit auseinander.

Erst jüngst kritisierte der IWF in seinem Deutschland-Report, dass die großen Leistungsbilanzüberschüsse, die Deutschland als führende Exportnation erwirtschaftet, lediglich den Reichen zufließen, und so die Anhäufung der Einkommen an der Spitze zunimmt. Treibende Kraft für diese Entwicklung sind, so der IWF, die für die deutsche Wirtschaft typischen mittelständischen Familienunternehmen. Eine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die »FAZ« veröffentlichte einen Kommentar von Brun-Hagen Hennerkes, dem Vorsitzenden der Stiftung Familienunternehmen, mit dem Titel: »Familienunternehmen wirken Ungleichheit entgegen.«

Diese Debatte ist nur ein Beispiel für zahlreiche Auseinandersetzungen, die derzeit über soziale Ungleichheit geführt werden. An diese Kontroversen knüpft der diesjährige »WSI-Verteilungsbericht« an. Dabei geht es im Kern um die Frage: Ist die deutsche Gesellschaft ungleicher als noch vor einigen Jahrzehnten? Dass die Einkommensungleichheit schon seit 2005 nicht mehr wächst, behaupteten zwei der einflussreichsten Ökonomen, Lars Peter Feld, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, und Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, in einer viel zitierten Studie. Das WSI gelangt nun zu einem gänzlich anderen Ergebnis: Seit 2010 steigt die Einkommensungleichheit wieder stetig an! Alle untersuchten Indizes belegten, dass die Ungleichverteilung der Einkommen im Jahr 2016 über dem Niveau von 2005 liegt, lautet das Fazit der Forscher.

In Ostdeutschland steigt die Ungleichheit dabei stärker als im Westen. Während das Ungleichheitsniveau in den neuen Ländern in den 1990er Jahren noch deutlich niedriger war als in den alten, hat inzwischen ein Angleichungsprozess zwischen den beiden Landesteilen bei der Ungleichheit begonnen.

»Einer der stärksten Treiber sind wachsende Lohnungleichheiten«, heißt es in der Studie. So sind vor allem die Löhne und Gehälter der bereits einkommensstarken Gruppen gestiegen - während die unteren Einkommensgruppen kaum etwas von den positiven Entwicklungen der letzten Jahre spüren. Das unterste Zehntel verliert sogar real an Einkommen. Hingegen steigen in der oberen Hälfte die Einkommen kräftig.

Es ist Gewerkschaften und Politik offenbar nicht gelungen, untere Einkommensgruppen am Wirtschaftsaufschwung teilhaben zu lassen. »Armut ist kein Randphänomen«, schlussfolgert der DGB in einer Stellungnahme zum »WSI-Verteilungsbericht«.

Dabei ergibt ein Blick auf die Vermögen der deutschen Haushalte ein noch schieferes Bild: So verfügt das reichste Prozent über genauso viel Vermögen wie 73 Millionen Bundesbürger zusammen. Gleichzeitig besitzen rund 40 Prozent der Bürger nahezu kein Erspartes.

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