- Kultur
- »Walking through walls«
Multimediales Mauererfahren
Keine momentbezogene Historizität: Die Berliner Ausstellung zeigt unterschiedliche Ausdeutungen des Trennungsgefühls
Zu ihrem 70. Geburtstag veröffentlichte Marina Abramović eine Autobiografie mit dem Titel »Walking through walls«. Drei Jahre später ehrt das Kuratoren-Duo Sam Bardaouil und Till Fellrath die Künstlerin, indem sie ihre Ausstellung zum 30. Jahrestags des Mauerfalls im Martin-Gropius-Bau nach ihr betiteln. Die serbische Performance-Künstlerin wünschte sich dort ihre ikonische Video-Performance »Light/Dark«, in der sie mit ihrem damaligen Partner Ulay in schneller Folge Ohrfeigen austauscht. Und setzt damit den Ton für die nonlineare Ausstellung: Kontemplation über Grenzen und deren Überwindung.
28 Künstlerinnen und Künstler zeigen hier in unmittelbarer Sichtweite von musealisierten Resten der Berliner Mauer unterschiedliche Ausdeutungen des Mauernerfahrens und Mauern-Erdulden-Müssens. Einige der Exponate wurden eigens für den Bau, der nach Kriegszerstörungen seit 1981 wieder als Museum in Betrieb ist, entwickelt. Zumindest eine dieser Arbeiten hat es dabei nicht zur Eröffnung geschafft: Von der architektonischen Installation »Panoptikonism« - von Christian Odzuck gestaltet - sind nur Broschüren und Entwürfe vor Ort. Der Künstler sollte sich mit einer von Foucault besprochenen Architekturform für Gefängnisse beschäftigen, welche den Insassen ein Gefühl absoluter Überwachtheit aufzwingt. Die Installation selbst bleibt jedoch aus. In einer Weise gilt das Gleiche für Nadia Kaabi-Linkes gelungene Arbeit »All Along the Watchtower«. Zwar wurden während der Renovierung des Martin-Gropius-Baus im letzten Jahr Folien und Sichtblenden an Fenstern des Innenhofs entfernt, um die Anlage stärker mit Licht zu durchfluten, die äußeren Räume lassen sich aber weiterhin verdunkeln. Das hat Kaabi-Linke möglich gemacht, den Besucher mit einem Trompe-l’œil (einer illusionistischen Malerei) zu überraschen. Sichtlich wird man vom bedrohlichen Schatten eines Grenzturms erschreckt, der ohne erkennbare Lichtquelle die Wand hinaufragt. Erst wer die Augen schärft und etwas näher herantritt, erkennt, dass es sich um eine geschickte Bemalung der Wand handelt.
Der einzige rote Faden, der sich neben dem Titel durch die Ausstellung zieht, sind die im Vergleich zu den restlichen, oft raumfüllenden Exponaten sehr kleinformatigen Fotografien von Sibylle Bergemann, die über das gesamte Stockwerk verteilt sind. Auf silbrig hellen Schwarz-Weiß-Abzügen zeigen sie die städtische Stimmung in Berlin um die Wende herum. Dadurch stellen sie einen Narrativ zu Verfügung, der immer wieder an den unmittelbarsten politischen Bezug erinnert: Die deutsche Teilung und den Mauerfall 1989.
»Durch Mauern gehen« beschränkt sich aber weder darauf, die friedliche Revolution vor 30 Jahren zu kommentieren, noch darauf, momentbezogene Historizität zu bieten. Der Besucher bekommt keine Chronik der Mauerbauten und Mauerabrisse geboten, sondern - ganz nach den Glaubenssätzen des postmodernen Kuratierens - einen multimedialen Erfahrungsraum »Mauer«. So begleiten wir in Anri Salas Film »1395 Days without Red« eine junge Frau während der Belagerung Sarajevos Anfang der 90er Jahre. Auf dem Weg zu einer Orchesterprobe summt sie Tschaikowskis Pathétique, während sie im Intervallsprint vor Scharfschützen flüchtet. In ihrem Knapp-50-Minüter mischt sich an unsichtbaren Grenzen das Triviale mit dem Tödlichen. Im deutlich kürzeren und reduzierteren 3-Kanal-Video »Mothers Day« von Smadar Dreyfus darf man in einem völlig dunklen Raum Zeuge einer besonderen Tradition werden. Jedes Jahr treffen sich syrische Drusen auf der israelischen und ihre in Damaskus studierenden Söhne auf der syrischen Seite der Golanhöhen. Am Muttertag rufen sie sich Glückwünsche via Mega- und Mikrofon zu, deren eindringlichen Aufnahmen der Besucher lauscht.
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Schon 1964 forderte Joseph Beuys satirisch dazu auf, die Berliner Mauer »aus Proportionsgründen« um fünf Zentimeter zu erhöhen. Der Mann, demzufolge jeder Mensch ein Künstler ist, suggerierte damals einen ästhetischen Widerstand gegen die Teilung des Landes. »Durch Mauern gehen« reflektiert mit praktischen Mitteln. Und auch wenn schwierig bleibt, den Finger auf einen pädagogischen Knotenpunkt zu legen, lässt die Ausstellung Ideen verändert zurück. Eine nicht zuletzt mit Blick auf Ost- und Westdeutschland berechtigte Frage, die »Durch Mauern gehen« allerdings nicht bearbeitet, und der wohl auch ungleich schwerer in dieser Form beizukommen wäre, ist aber: Einmal durch die Mauer gegangen - wie geht es weiter?
»Durch Mauern gehen«, bis 19. Januar 2020, Niederkirchnerstraße 7, Berlin
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