Die schwarze Welt aus den Fugen

Thüringens CDU hadert damit, dass Rot-Rot-Grün nicht nur ein Intermezzo sein könnte

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.

Nachdem die Welt der Thüringer CDU im Jahr 2014 schon einmal völlig aus den Fugen geraten ist, steht diese Welt seit Mitte des laufenden Jahres wieder Kopf. Dabei sah es für den Landesverband der Union unter ihrem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Mike Mohring doch so viele Monate lang ziemlich gut aus.

Zwar hatte vor fünf Jahren in Thüringen ein Bündnis aus LINKEN, Sozialdemokraten und Grünen die parlamentarische Macht übernommen und stellt seit damals die Landesregierung - etwas, was im Freistaat bis dahin als ziemlich unmöglich galt. Immerhin hatten zwischen 1990 und 2014 stets CDU-geführte Koalitionen und Regierungen das politische Leben im Freistaat bestimmt; wenn es für die Partei nicht - wie zwischen 1999 und 2009 - sogar für eine absolute Mehrheit im Landtag in Erfurt gereicht hatte. Diese Machtübernahme von Rot-Rot-Grün war der Moment, als für die Thüringer CDU die Welt aus den Fugen geriet.

Doch schon bald nach der Wahl von 2014 zeigte eine Meinungsumfrage nach der anderen, dass Rot-Rot-Grün zwar eine parlamentarische Mehrheit im Landtag besaß und sich dort behauptete. Aber dass dieses Bündnis keine gesellschaftliche Mehrheit hinter sich vereinte; andernfalls hätte beispielsweise die Zustimmung zu fremdenfeindlichen Aussagen nach den Messungen des Thüringen-Monitors - eine soziologische Langzeitstudie - nicht so hoch ausfallen dürfen, wie sie es seit Jahren tun. Zudem zeigten diese Analysen alsbald, dass Rot-Rot-Grün in vielen Sonntagsfragen zu Wahlabsichten im Freistaat keine eigene Mehrheit mehr hatte. Immer wieder erklärte Mohring deshalb, dass Rot-Rot-Grün bei den nächsten Wahlen keine Chance habe, noch einmal Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die CDU war in diesen Umfragen stets die stärkste Kraft, lange Zeit mit Zustimmungswerten von 30 Prozent oder deutlich darüber. Bis zum Sommer 2019. Dem Moment, seit dem die Welt der Thüringer CDU auf dem Kopf steht.

Bis heute ist die Partei in den Wahlumfragen verschiedener Institute in der Wählergunst hinter die LINKE und die AfD zurückgefallen. So kann die LINKE beispielsweise nach einer Umfrage von infratest dimap aus dem September mit 28 Prozent aller Zweitstimmen rechnen, die AfD mit 25 Prozent, die CDU nur mit 22 Prozent.

Die Gründe für dieses Abrutschen der Union im Freistaat sind vielschichtig. Der für die CDU wenig erfreuliche Bundestrend trägt maßgeblich dazu bei. Die Querelen in der Großen Koalition in Berlin um die Grundrente, die Mohring - ebenso wie auch der Thüringer SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Tiefensee - seit Monaten fordert. Beide hätten diese gerade für viele Ostdeutsche so wichtige Rente gerne noch vor der Landtagswahl verabschiedet gesehen, um das den Menschen in Thüringen als ihren Erfolg darstellen zu können. Zudem hadern viele Menschen im Freistaat noch immer mit den Entscheidungen zum Umgang mit Geflüchteten 2015, die maßgeblich von der CDU mitgetragen worden waren.

Und schließlich hat die CDU bis heute nicht das eine große Wahlkampfthema gefunden, das ihr die Wähler zutreiben würde. Im Freistaat wird derzeit über all das gesprochen, worüber sich die CDU schon seit Jahren mit Rot-Rot-Grün streitet: Bildung, Polizei, Wohnungen, Bus und Bahn, medizinische Versorgung. Ein wirklich großes, neues Wahlkampfthema hat sich daraus bisher nicht ergeben. Vor allem aber ist es die Stärke der anderen, die die anhaltende Schwäche der CDU begründet: die Stärke des ersten linken Ministerpräsidenten Deutschlands, Bodo Ramelow auf der linken; die Stärke der AfD auf der rechten Seite.

Denn einerseits zeigen Umfragen ebenfalls, dass Ramelow als Landesvater von einer Mehrheit der Thüringer akzeptiert wird, trotz oder gerade wegen seiner oft emotionalen und bisweilen auch aufbrausenden Art. Ausweislich der etwa vier Wochen alten Umfrage von infratest-dimap sind 65 Prozent der Thüringer mit seiner Arbeit zufrieden, bei Mohring sind es 40 Prozent. Was freilich auch ein Problem für die LINKE ist, weil die hohen Zustimmungswerte zu ihr in Thüringen ganz eng mit dem 63-jährigen Ramelow und seinem Amtsbonus verknüpft sind. Es scheinen eben er und sein Amt zu sein, die viele Thüringer kurz vor der Wahl dazu bewegen, die Wahl der LINKEN zumindest ernsthaft zu erwägen.

Andererseits muss die CDU vor allem in den ländlichen Regionen des Freistaats und besonders dramatisch im Osten und Südosten des Landes Stimmverluste an die AfD fürchten. Wahlkämpfer der Union in diesen Gebieten berichten schon seit Monaten, dass sie zum Beispiel an Wahlständen spüren, wie sehr sich viele Menschen dort von der CDU abgewendet haben. So sehr, dass es bei manchen Menschen sogar Zeitverschwendung sei, überhaupt noch zu argumentieren, heißt es.

Die Ergebnisse der jüngsten Kommunal- oder Europawahlen in Thüringen zeigen, wie sehr sie recht haben. In nicht nur einzelnen Gemeinden in Ost- und Südostthüringen war die AfD damals stärkste Kraft geworden. Nun droht der der Union dort sogar der Verlust von früher fast absolut sicheren Direktmandaten; in Regionen also, über die Vertreter von Rot-Rot-Grün früher spotteten, dort hätte die CDU »einen Besenstil« als Kandidaten aufstellen können und er wäre gewählt worden.

Wenn also eintreffen sollte, was sich derzeit andeutet, dann wird die Welt der Thüringer CDU am 27. Oktober erneut erschüttert sein.

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