Eingeschränkt positiv

Trotz Unentschlossenheit des britischen Unterhauses will die EU weitermachen wie bisher

  • Peter Eßer, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach dem überraschenden Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen vergangene Woche ist der Enthusiasmus in Brüssel vorerst verflogen. Die Ereignisse in London am Wochenende sorgten für erneute Ungewissheit darüber, wie es mit dem geplanten Austritt der Briten aus der EU weitergeht. Das britische Unterhaus hat das von Premierminister Boris Johnson mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen weder angenommen noch abgelehnt. Formell hat die britische Regierung zwar eine Verlängerung der Austrittsfrist beantragt, Johnsons Plan ist es aber weiterhin, sein Land am 31. Oktober aus der EU zu führen. Ein Brexit ohne Abkommen droht also immer noch.

In Brüssel kamen am Sonntag deshalb zunächst die EU-Botschafter der 27 verbleibenden Länder mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier zusammen. »Was gibt es Schöneres an einem Sonntagmorgen als ein Treffen zum Brexit«, spottete der österreichische Diplomat Gregor Schusterschitz. Das britische Unterhaus habe »mal wieder« für Unsicherheit gesorgt. Die weitere Wochenendplanung des Österreichers dürfte aber nicht in Gefahr gewesen sein: Nach 15 Minuten war das Meeting zu Ende. Ohne eine Entscheidung aus London könne substanziell nichts Neues beschlossen werden, hieß es. »Wir brauchen ein Ja oder Nein«, brachte es die französische Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten, Amélie de Montchalin, auf den Punkt.

Bei dem 15-minütigen Treffen sei es formal um den weiteren Ratifizierungsprozess des ausgehandelten Austrittsabkommens auf EU-Seite gegangen, sagte Chefunterhändler Barnier. Soll heißen, der ursprüngliche Plan wird trotz der britischen Unentschlossenheit erst einmal weiterverfolgt. Die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament bereiten die formelle Annahme des Abkommens vor. In Brüssel wird weiterhin davon ausgegangen, dass dies auch in London noch rechtzeitig, also vor dem 31. Oktober, geschehen wird. Zugleich wird EU-Ratspräsident Donald Tusk in den nächsten Tagen aber auch mit den Staats- und Regierungschefs über den britischen Antrag einer Verschiebung dieses Datums beraten.

Im EU-Parlament gibt es Verständnis für das Vorgehen der britischen Kollegen. »Das britische Parlament … wollte eine Situation vermeiden, in der es nur noch die Wahl zwischen einem Brexit ohne Abkommen in zehn Tagen oder dem von Boris Johnson ausgehandelten Deal hat«, analysierte die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Iratxe García. Ähnlich sieht das der Ko-Vorsitzende der Linken im EU-Parlament, Martin Schirdewan: »Das Unterhaus hat sich so den Gestaltungsprozess wieder angeeignet und Boris Johnson ein klares Signal gesendet, dass es ihm nicht traut und er keine Mehrheit hat.«

Das ausgehandelte Abkommen bewertet Schirdewan eingeschränkt positiv: »Ideal ist es nicht, aber es ist das, was momentan möglich war, um einen Crash-out zu verhindern.« Die Gefahr, dass das EU-Parlament das Abkommen ablehnen könnte, sehe er deshalb nicht. Eine Abstimmung im Parlamentsplenum könnte noch diese Woche in Straßburg oder nächste Woche in Brüssel organisiert werden - in Abhängigkeit von den Entwicklungen in London. Die Zustimmung des britischen Parlaments bleibt demnach die große Variable in der Brexit-Gleichung.

Was eine mögliche Verlängerung der Austrittsfrist anbelangt, hat das EU-Parlament kein Mitspracherecht. Einen erneuten Aufschub müssten die 27 verbleibenden EU-Länder einstimmig gewähren. Ginge es lediglich darum, den britischen Abgeordneten mehr Zeit zu geben, um das Abkommen zu prüfen und anzunehmen, dürfte die erforderliche Einstimmigkeit kein Problem darstellen. Weitere Verhandlungen haben jedoch sowohl Premierminister Johnson als auch seine 27 EU-Kollegen ausgeschlossen. Hinter dieser Haltung steckt zwar auch die Absicht, maximalen Druck auf das britische Parlament auszuüben. Dennoch scheint es nicht unrealistisch, dass bei einer Ablehnung des Abkommens durch die britischen Abgeordneten der eine oder andere Geduldsfaden reißen könnte.

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