- Kommentare
- Wolff`s Müllabfuhr
Allumfassend unglaubhaft
Ex-Titanic Chef Tim Wolff über keinen Kampf gegen Rechts bei »Bild«
In einem Kommentar unter der Überschrift »Schande für den Bundestag« schimpft eine Antje Schippmann für »Bild« auf Claudia Roth: »Nach dem rechtsextremen Attentat von Halle versicherten alle Parteien, dass für Antisemitismus kein Platz sei. Sie beschworen die besondere Verpflichtung Deutschlands im Kampf gegen den Judenhass. Doch nur wenige Tage später traf sich Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth mit dem iranischen Parlamentssprecher Ali Laridschani, der für seine regelmäßigen Vernichtungsdrohungen gegen Israel bekannt ist und die Leugnung des Holocaust verteidigt hat … Woher kommt diese unerträgliche Doppelmoral? Der Kampf gegen Antisemitismus ist allumfassend oder gar nicht. Wer so offenkundig wie Claudia Roth mit zweierlei Maß misst, dem kann man seine Bekundungen gegen Antisemitismus nicht mehr glauben.«
Was Schippmann hier produziert, ganz nach der Vorgabe ihres Chefs Mathias Döpfner, dass rechtsextremer mörderischer Antisemitismus in Deutschland vor allem dann entsteht, wenn man nicht ausreichend den islamischen Antisemitismus von den Menschen fernhält, die aber auch gar nichts mit Ausländern zu haben wollen, ist sowohl wahr als auch infam. Claudia Roths Lockerheit im Umgang mit eliminatorischen Feinden des jüdischen Staates entspringt einem Milieu, das im Glauben, sich von den direkten Nazivorfahren befreit zu haben, nun meint, entscheiden zu dürfen, wann Antisemitismus vernachlässigbar ist, wahrscheinlich sogar in der irren Annahme, so Frieden zu stiften. Und erst recht richtig ist, dass der Kampf gegen Antisemitismus allumfassend sein sollte, also nicht Teil eines politischen Kalküls.
Womit wir bei Antje Schippmanns Arbeitgeber wären, der seine Mitarbeiter noch immer vertraglich zum Anti-Antisemitismus verpflichtet, weil der selige Axel Springer einst wusste, dass die Restauration Deutschlands Opfer mit sich bringen würde, auch das, den Nazis, die man einstellt, das Lieblingsthema zu nehmen. Doch kooperiert und kämpft die »Bild«, genau wie ihre, hihi, seriöse Schwester »Welt« seit Bestehen bis heute problemlos mit Antisemiten, wenn diese nur anderweitig richtig verachten. Und nicht wenige publizistische Karrieren post Springer zeigen, wie mancher dort wirklich dachte und denkt, wenn er gerade nicht die Klappe halten muss.
Doch muss man den Springer-Leuten noch nicht mal die ernsthafte Sorge um jüdisches Leben absprechen, um die politische Taktik zu erkennen, Antisemitismus nach Nazimorden als etwas zu behandeln, bei dem Nazis nur unter anderem mitmischen. Es gibt keinen Kampf der »Bild« gegen Rechts; es gibt nur die Taktik, dieses Publikum zu sich zu holen, indem man anbietet: Lasst den einen Hass sein, dann können wir gemeinsam den anderen ausleben. Denn auch bei Springer zeigt sich, dass es nach der Shoah keinen unkontaminierten deutschen Philosemitismus geben kann; er bleibt stets verbunden mit dem Versuch, sich und die Seinen zu entschulden - erst recht, wenn die, zu denen man sich zählt, sonst nicht das geringste Problem mit Stolz auf ein Land haben, in dem der Großteil der Täter und Profiteure ungeschoren davon kam.
Dieses ganze Land, das nach den zwei Weltkriegen nicht mehr hätte existieren dürfen, und seine Öffentlichkeit sind geprägt von den Lügen und Vertuschungen der direkten und indirekten Beteiligung, mindestens Gleichgültigkeit gegenüber dem industriellen Massenmord primär an Juden, die unter anderem dazu geführt haben, dass alles, was Nazis als das Außergesellschaftliche präsentieren kann, willkommen ist. Zum Beispiel, sie als letztlich identisch mit anderen Extremisten zu zeichnen. Der Kampf gegen Antisemitismus wäre nur allumfassend, wenn man ihn auch da konsequent führen würde, wo die »Bild« die Kunden herkriegt: in der stets nach rechts offenen Mitte der Gesellschaft. So bleibt er, was er in Deutschland immer war: gar nicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.