Munitionskontrolle mit Muscheln

Experten untersuchen Kriegswracks in der Nordsee - geben sie giftige Stoffe frei?

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit dem 12. Februar 1942 ruht das deutsche Kriegsschiff »John Mahn«, ein sogenanntes Vorpostenboot, auf dem Grund der Nordsee. Nahe der belgischen Küste, unweit des Badeortes Zeebrügge, war es an jenem Tag versenkt worden. Doch noch immer geht Gefahr von ihm aus, von seiner Munition. Sie rostet vor sich hin, die Ummantelung der Geschosse wird dünner und dünner. Ist das Metall schon derart dünn geworden, dass Sprengstoff austritt? Dass giftiges, krebserregendes Trinitrotoluol (TNT) ins Wasser gelangt, von Fischen aufgenommen wird und über die Nahrungskette auf den Tisch von Verbraucherinnen und Verbrauchern gelangt?

Diese Frage zählt zum Aufgabenkatalog des Projektes »Nord Sea Wrecks« (Nordseewracks), das Wissenschaftler aus acht europäischen Nationen vor einem Jahr ins Leben gerufen hatten. Koordiniert wird es vom Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven. Dort hatten sich am Montag und Dienstag rund 30 Experten getroffen, um über die bisherige Arbeit und das künftige Vorgehen beim Untersuchen von Wracks aus dem ersten und zweiten Weltkrieg zu sprechen.

Im Fokus steht dabei die Munition. Unmengen von Wasserbomben, Minen und Granaten verrotten in der Nordsee. Gefüllt sind sie zumeist mit konventionellem Sprengstoff, aber auch chemische Kampfstoffe sind zu vermuten. Solche Gefahren lauern auch in der Ostsee, jedoch lassen sich die dort gewonnenen Erkenntnisse in punkto Munition nicht auf die Nordsee übertragen. Sie ist, das hatte das DSM schon bei der Vorstellung des Projekts im Oktober 2018 zu bedenken gegeben, viel rauer. Ihr Seegang verstärke den Abrieb am rostigen Metall der Geschosse.

Um festzustellen, wie weit der Abrieb inzwischen an der Munition der »John Mahn« fortgeschritten ist und ob giftige Substanzen aus ihr ins Wasser gelangen, haben Forscher an den Geschossen kleine Netze befestigt, in denen Miesmuscheln liegen. Sie waren aus einer sicher unbelasteten Meeresregion geholt worden und dienen nun als »Biomarker«. Sofern die Munition schon Schadstoffe freigibt, werden sie von den Muscheln aufgenommen. Nach zweiwöchigem Einsatz am Wrack kommen sie in den nächsten Wochen in ein giftkundliches Institut zur Untersuchung.

Dieses Verfahren war bereits erfolgreich bei Erkundungen in der Ostsee angewendet worden. Ein erschreckendes Ergebnis, wie der Toxikologe Edmund Maser von der Universität Kiel jetzt im Regionalmagazin »buten un binnen« von Radio Bremen berichtete: »Wir konnten feststellen, dass aus den Munitionshaufen Sprengstoffe heraustreten und in die Muscheln gehen«.

Auch Fische, die sich im Umkreis munitionsverdächtiger Wracks aufhalten, sollen auf mögliche Schadstoffe und durch sie hervorgerufene Erkrankungen kontrolliert werden, war auf der Tagung in Bremerhaven zu erfahren. Nächstes Jahr wollen Experten mit dem Spezialschiff »Heincke«, es gehört zum Alfred-Wegener-Foschungsinstitut (AWI), südlich von Helgoland fünf von geschätzt 120 im deutschen Bereich der Nordsee liegenden Kriegswracks aufsuchen. Drei davon versanken im ersten, zwei im zweiten Weltkrieg. Auf Tauchgängen, teils mit Robotern, wird sodann erkundet, in welchem Umfang Munition an Bord ist und in welchem Zustand sie sich befindet. Auch das Aussetzen von Miesmuscheln, wie es bei der »John Mahn« erfolgte, ist geplant.

Aus den Ergebnissen des auf vier Jahre ausgelegten Forschungsprojekts soll eine Risikobewertung abgeleitet werden, so der AWI-Wissenschaftler Matthias Brenner. Für verantwortliche Stellen in Deutschland und den anderen Nordsee-Anrainerstaaten könne eine solche Analyse ein »Handlungsansatz« sein.

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