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Beharrliches Bündnis
Was Rot-Rot-Grün in Thüringen bewegt hat. Eine Bilanz
Rückblickend betrachtet ist das vielleicht Bemerkenswerteste an der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen - dem ersten solchen Bündnis in Deutschland überhaupt -, dass sie über die komplette Legislaturperiode gehalten hat. Nicht nur Oppositionspolitiker, sondern auch allerlei politisch interessierte Beobachter hatten dem von der Linkspartei geführten Bündnis 2014 prophezeit, kaum 100 Tage zu überstehen; auch deshalb, weil die Koalition bei der Übernahme der legislativen Macht im Freistaat über eine parlamentarische Mehrheit von nur einer Stimme verfügte. Trotzdem hat das Bündnis bis heute nicht eine einzige Abstimmung im Landtag gegen die Opposition verloren.
Und trotz aller Unterschiede zwischen LINKEN, Sozialdemokraten und Grünen ist die Koalition auch außerhalb des Plenarsaals an keiner noch so kontrovers diskutierten Sachfrage zerbrochen, immer hat sich das Bündnis zusammengerauft. Auch wenn es eine Mär ist, was Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow beteuert: dass sich die Partner stets auf Augenhöhe begegnen. Hinter den Kulissen vergeht kaum eine Woche, in der Vertreter des Bündnisses nicht übereinander schimpfen. Die Vorhaltungen, die dabei gemacht werden, sind immer die gleichen: Die LINKEN handelten ideologiegetrieben. Die SPD habe keine klare politische Haltung. Und die Grünen agierten viel unverschämter, als es ihnen, gemessen an ihrem Gewicht in der Landespolitik, zustehe.
Neben der Tatsache, dass das Bündnis noch existiert, gibt es aber auch sachpolitisch einiges Bemerkenswertes, was Rot-Rot-Grün in den vergangenen fünf Jahren gelungen ist. Tatsächlich hat die Koalition den Freistaat verändert. Wenn auch längst nicht so umstürzend, wie die Koalitionäre es geplant und die Gegner der Koalition es befürchtet hatten.
Die gesellschaftliche Tiefenwirkung all dessen ist dennoch sehr begrenzt. Dem Thüringen-Monitor - einer soziologischen Langzeitstudie - ist zu entnehmen, wie sehr zum Beispiel rechte Einstellungen auch im rot-rot-grün regierten Thüringen bei vielen Menschen fest verankert sind: Der Aussage, Deutschland sei durch »die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet«, stimmten im vergangenen Jahr 58 Prozent der repräsentativ befragten Thüringer zu. 2014 hatte der Wert noch bei 48 Prozent gelegen, seit damals ist er konstant gestiegen.
Arbeit und Soziales
Eines der Kernprojekte von Rot-Rot-Grün ist umgesetzt worden, wenn auch in bescheidenerem Umfang, als das etwa den Arbeitsmarktpolitikerinnen der Koalition lieb gewesen wäre: die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarktes. Nach Angaben des Sozialministeriums haben etwa 650 Langzeitarbeitslose dort bislang die Chance erhalten, sozialversicherungspflichtige Jobs zum Beispiel bei Sportvereinen oder in Kultureinrichtungen zu finden - und so nicht mehr direkt auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein.
Zwar werden diese Jobs auch mit öffentlichem Geld gefördert. Doch für viele Menschen fühlt es sich einfach anders an, wenn sie für ihre Arbeit einen Lohn erhalten, statt die gleiche Arbeit ehrenamtlich zu leisten und den Lebensunterhalt mit Hartz IV zu bestreiten. »Das ist anderes Geld, besseres Geld«, hat das jemand auf den Punkt gebracht, der 2017 für einen Evaluationsbericht zum sozialen Arbeitsmarkt befragt worden war.
Nicht gelungen ist es der Koalition allerdings, den Bund an der Finanzierung dieses Arbeitsmarktes zu beteiligen. Die arbeitsmarktpolitische Wende - »Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren« - hat Rot-Rot-Grün mit diesem Projekt nicht geschafft.
Ebenfalls nicht gelungen ist es dem Bündnis, Tarifverträgen wieder mehr Geltung zu verleihen. Freilich haben sich Vertreter des Bündnisses darum bemüht, den Unternehmen klar zu machen, welche Vorteile sich aus Tarifverträgen ergeben würden. Etwa beim Landesvergabegesetz hat die Koalition sogar Klauseln eingebaut, die Anreize für die Unternehmen setzen sollen, mit Tarifverträgen zu arbeiten. Dort steht zum Beispiel geschrieben, dass Unternehmen ihren Beschäftigten auch beim Ausführen von Landesaufträgen weniger als den Vergabemindestlohn von 11,42 Euro brutto pro Stunde zahlen dürfen, wenn sie in einer Branche aktiv sind, in der es einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag gibt, der niedrigere Löhne vorsieht. Wirklich genützt hat all das nichts. Ausweislich des jüngsten IAB-Betriebspanels arbeiteten 2018 nur noch 45 Prozent aller Beschäftigten in Thüringen unter dem Schutz eines Tarifvertrages; 2015 waren es noch 48 Prozent.
Bildung und Schule
Hier liegen Licht und Schatten ganz nah beieinander - auch, aber nicht nur, weil sich in der Bildungspolitik kaum schnelle Erfolge erzielen lassen. Schon weil die Ausbildung von Lehrern lange dauert. Und so ist es zwar eine Tatsache, dass in Thüringen in dieser Legislaturperiode nach Angaben des Bildungsministeriums insgesamt etwa 3500 Lehrer neu eingestellt worden sind; viel mehr als in der Vergangenheit. Gleichzeitig aber hat der Unterrichtsausfall an vielen Schulen stark zugenommen. Vor einigen Monaten demonstrierten sogar Schüler vor dem Landtag für mehr Unterricht.
Zur Wahrheit in der Diskussion gehört freilich auch, dass Rot-Rot-Grün die Neueinstellungen deshalb leicht gefallen sind, weil das Bündnis von hohen Steuereinnahmen profitiert hat - und dass in Thüringen wie in vielen anderen Teilen Deutschlands überhaupt nur deshalb ein Lehrermangel herrscht, weil die Schülerzahlen wieder gestiegen sind. Manche frühere, CDU-geführte Koalition in Thüringen hatte dagegen angesichts der damals dramatisch sinkenden Schülerzahlen eher zu viele Lehrer im Landesdienst.
Ähnlich ist es bei der Einführung von zwei für die Eltern beitragsfreien Kindergartenjahren: Das ging nur, weil Geld da war. Ist aber für viele Eltern unbestreitbar ein Gewinn, auch wenn Kritiker immer wieder sagen, das Geld, das die beitragsfreien Kindergartenjahre das Land kosten, wäre besser in noch mehr Stellen für Erzieher oder - wie von der CDU vorgeschlagen - in kostenfreies Essen für die Kinder investiert worden. Besonders laut ist diese Kritik, weil durch die Beitragsfreiheit vor allem Eltern mit einem hohen Einkommen entlastet werden, die ansonsten oft besonders hohe Kita-Gebühren zahlen müssen. Zudem hat die Beitragsfreiheit nicht dazu geführt, dass deutlich mehr Kinder als vorher einen Kindergarten besuchen, was auch ein Argument für die Beitragsfreiheit war.
Flüchtlingspolitik
Rot-Rot-Grün hat mit einer Vielzahl von Projekten und symbolischen Gesten versucht, das Land weltoffener zu machen und die Teile der Zivilgesellschaft zu stärken, die sich gegen rechtes Gedankengut stellen: In Jena ist ein Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft gegründet worden, vor der Staatskanzlei wehte die Regenbogenfahne, einer der ersten Kabinettsbeschlüsse der rot-rot-grünen Landesregierung war ein Winterabschiebstopp für Flüchtlinge …
Überhaupt wollte das rot-rot-grüne Thüringen immer wieder auch bundespolitisch eine andere Flüchtlingspolitik durchsetzen. So half der Freistaat Anfang des Jahres im Bundesrat entscheidend dabei mit, die Einstufung von Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien als sichere Herkunftsstaaten zu verhindern. Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) sagte damals, Thüringen habe - mit seinem Antrag, die Abstimmung von der Tagesordnung zu nehmen - deutlich machen wollen, dass man eine grundsätzliche Debatte über das komplexe Themenfeld Migration und Flucht brauche, statt den Menschen Scheinlösungen vorzugaukeln. Zudem hat sich Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) beharrlich allen Rufen verweigert, mehr und mehr Menschen aus Thüringen abzuschieben; auch wenn es Abschiebungen aus dem rot-rot-grünen Freistaat gegeben hat. Jedes Mal, wenn CDU und AfD mehr Härte forderten, entgegnete Lauinger, eine freiwillige Rückkehr von Migranten in ihre Heimatländer sei humaner, günstiger für den Steuerzahler und gelinge viel häufiger als eine Abschiebung.
Polizei und Inneres
Zwar schreibt eine Mehrheit der Thüringer laut einer aktuellen Umfrage der CDU die höchste Kompetenz im Feld der inneren Sicherheit zu. Doch hat auch Rot-Rot-Grün gezeigt, dass das Bündnis nicht der Feind der Polizei ist. Die Koalition hat die Zahl der neu eingestellten Polizisten innerhalb dieser Legislaturperiode erhöht. 2015 waren noch 155 Polizeianwärter in den Dienst des Freistaats getreten, in diesem Jahr sind es nach Angaben des Innenministeriums 260.
Gleichzeitig hat das Bündnis eine Vertrauensstelle der Thüringer Polizei eingerichtet, an die sich all diejenigen wenden können, die sich falsch von der Polizei behandelt fühlen. Es gab bislang zahlreiche Anfragen, was dafür spricht, dass die Einführung der Stelle sinnvoll war.
Was dagegen in der Innenpolitik nicht wirklich funktioniert hat: die Reform des Landesamtes für Verfassungsschutz, die allerdings schon von der schwarz-roten Vorgängerregierung begonnen worden war. Zwar hat das Amt nun mehr Dokumentationspflichten, die Kontrolle über den Dienst ist ausgebaut und der Einsatz von V-Leuten massiv eingeschränkt worden. Doch die Zweifel an seiner Kompetenz sind - vor allem aus den Reihen der Linken - keinesfalls geringer geworden.
Überhaupt hat das Bündnis in der Innenpolitik seine größte Niederlage einstecken müssen: Die groß angekündigte Gebietsreform ist gescheitert. Statt Gemeinden, Städte, Landkreise und kreisfreie Städte gegebenenfalls auch unter Zwang zu größeren, effizienteren Verwaltungseinheiten zusammenzufassen, hat Rot-Rot-Grün nach einer Niederlage vor dem Landesverfassungsgericht nur solche Kommunen neu gegliedert, die neu gegliedert werden wollten. Dabei hat man Zusammenschlüsse, etwa im Raum Sonneberg, zugelassen, die es nach dem einstmals vorgetragen Willen der Spitzen des Bündnisses nie hätte geben dürfen, weil sie Abwehrzusammenschlüsse gegen größere Kommunen sind.
Besonders bitter für Rot-Rot-Grün: Das Gerichtsurteil war aus rein formalen Gründen - weil ein Protokoll im Landtag zu spät vorlag - gegen die Koalition ergangen. In ihrer Urteilsbegründung hatten die Richter die wesentlichen Argumente für eine große Gebietsreform allesamt für richtig erklärt.
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