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Verordnete Harmonie
Der Wettbewerb um die SPD-Spitze wurde bislang in freundlicher Atmosphäre ausgetragen. Das könnte sich ändern
In der SPD bleibt es spannend. Nach der ersten Runde der Mitgliederbefragung über die künftigen beiden neuen Parteichefs gibt es für die Stichwahl im kommenden Monat keine klaren Favoriten. Mit knappem Vorsprung lagen Olaf Scholz und Klara Geywitz auf dem ersten Platz. Sie erreichten 22,68 Prozent. Der Vizekanzler und Finanzminister hatte sich erst spät entschlossen, für den Vorsitz anzutreten. Eigentlich wollte Scholz wegen »hoher Arbeitsbelastung« nicht. Doch dann entschied er sich im August um. Denn »viele von denen, die ich gern an der Spitze gesehen hätte, kandidieren nicht. Das kann ich nicht ignorieren«, sagte Scholz.
Der konservative Parteiflügel brauchte aussichtsreiche Kandidaten, um zu verhindern, dass entschiedene Gegner der derzeitigen Großen Koalition das Ruder übernehmen. Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises, erklärte kürzlich seine Unterstützung für Scholz und dessen Brandenburger Partnerin Klara Geywitz. In der SPD wird Scholz zwar nicht gerade geliebt - bei der Vorstandswahl vor zwei Jahren erhielt er als stellvertretender Vorsitzender nur 59,2 Prozent der Stimmen. Doch er kann darauf verweisen, in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister wichtige Wahlen mit großem Abstand gewonnen zu haben. Über den Zustand, in dem Scholz die Hamburger SPD verlassen hat und zurück in die Bundespolitik gewechselt ist, spricht er weniger gerne. Vor zwei Jahren stand er im Zentrum der Kritik nach Ausschreitungen und Polizeigewalt beim G20-Gipfel in der Hansestadt.
Bei der Stichwahl können Geywitz und Scholz auf die Wähler hoffen, die zuvor dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius und der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping ihre Stimmen gegeben haben. Auch der Europaminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, der mit der nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Christina Kampmann angetreten war, präsentierte sich als eher vorsichtiger Kritiker der Großen Koalition.
Für Geywitz spricht, dass sie die einzig verbliebene Vertreterin eines ostdeutschen Landesverbands ist. Die frühere Brandenburger SPD-Generalsekretärin hat in ihrem Bundesland gut mit ihren bisherigen Regierungspartnern von der Linkspartei zusammengearbeitet. Auf Bundesebene hat die 43-Jährige als Mitglied des Bundesvorstands vor eineinhalb Jahren den Koalitionsvertrag mit der Union mit ausgehandelt. Das spricht für eine gewisse Flexibilität.
Als das Ergebnis der Mitgliederbefragung am Samstagabend im Berliner Willy-Brandt-Haus bekannt gegeben wurde, betonten alle anwesenden Mitglieder der SPD-Spitze die »Geschlossenheit der Partei«. »Wir sind eine solidarische Partei und wollen in Zukunft besser mit unseren Vorsitzenden umgehen als in der Vergangenheit«, versprach etwa die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer. Die Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz wollte keinen Verdacht aufkommen lassen, dass es sich beim internen Wettbewerb auch um eine Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Flügeln der Partei handeln könnte. Nicht nur in der Parteizentrale sorgt man sich, dass allzu heftige Auseinandersetzungen zu weiteren Austritten der in bundesweiten Umfragen nur noch bei 14 bis 15 Prozent liegenden SPD führen könnten.
Doch bei den nun kommenden Veranstaltungen, wo Geywitz und Scholz mit dem zweitplatzierten Duo diskutieren werden, dürfte es etwas mehr zur Sache gehen als bisher. Von den ursprünglich acht Kandidatenteams sind auch Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken übrig geblieben. Sie lagen bei 21,04 Prozent. Walter-Borjans ist vor allem bekannt dafür, dass er sich als früherer nordrhein-westfälischer Finanzminister für den Erwerb von Datensätzen mutmaßlicher Steuerbetrüger einsetzte. Esken und Walter-Borjans wollen Vermögende steuerlich stärker belasten und untere Einkommensschichten entlasten. Allerdings standen ihre Forderungen wie die Wiederbelebung der Vermögensteuer oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auch in früheren Programmen der SPD. Diese Forderungen fielen in Koalitionsverhandlungen mit der Union schnell wieder unter den Tisch.
Walter-Borjans sieht die Zukunft der Koalition mit CDU und CSU »sehr kritisch«. Aber er will nicht in jedem Fall einen schnellen Ausstieg aus der Koalition, sondern die Chancen für dieses Bündnis noch einmal ausloten. Auch Esken hatte sich nicht eindeutig zur Zukunft der Großen Koalition geäußert, aber immerhin angemerkt, dass man der Partei keine Angst vor Neuwahlen machen dürfe.
Dass der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert dieses Duo anstelle von radikaleren Kritikern der schwarz-roten Regierung unterstützt hat, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass sich der Jungsozialist in die politische Mitte bewegt. Die nun ausgeschiedenen Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach und Nina Scheer hatten dafür plädiert, dass die SPD die Große Koalition verlassen sollte, weil sie in diesem Bündnis zu wenig erreicht habe. Diese Forderung war auch von der Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis und dem Gewerkschafter Dierk Hirschel zu hören. Das Duo zog in diesem Monat seine Kandidatur zurück, um »die Erfolgsaussichten für eine linke Kandidatur zu erhöhen«.
Auf den ersten Blick haben Esken und Mattheis einige Dinge gemeinsam. Sie stammen beide aus dem Landesverband Baden-Württemberg und gehören in der SPD-Fraktion der Parlamentarischen Linken an. Esken sieht allerdings diverse Einsätze der Bundeswehr weniger kritisch als ihre Fraktionskollegin. In der vergangenen Woche gab sie eine Erklärung ab, warum sie im Bundestag der Verlängerung des Anti-IS-Einsatzes der Bundeswehr zugestimmt hat. Sie verlor darin kein Wort darüber, dass das militärische Vorgehen westlicher Staaten auf syrischem Staatsgebiet völkerrechtlich zumindest fragwürdig ist, wie auch die Rechtsexperten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags im vergangenen Jahr bestätigten. Dagegen zählte Esken in der Asylpolitik zuweilen zu den Rebellen in der Fraktion und votierte im Sommer mit einigen anderen SPD-Abgeordneten gegen eine Verschärfung der Abschieberegelungen.
Eine Wahlempfehlung von Parteivize Ralf Stegner, der mit Gesine Schwan angetreten war, werden Walter-Borjans und Esken nicht erhalten. Stegner erklärte im Kurznachrichtendienst Twitter, er wolle niemanden bevormunden. Die Sieger in der Stichwahl müssen noch auf dem Bundesparteitag im Dezember von den Delegierten gewählt werden. Dort wird sicherlich auch erneut heftig über die Zukunft der SPD in der Großen Koalition diskutiert.
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