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Der Mutter auf den Fersen
Katharina Steinruck läuft Bestzeit im Marathon. Bei Olympia 2020 will sie lieber im kühleren Sapporo laufen
Am Tag danach ist es nach einem Marathon immer dasselbe: »Der Tag, an dem man die Treppe rückwärts runtergeht«, hat es Katharina Steinruck einmal beschrieben. Insofern vortrefflich, dass das Athletenhotel an der Frankfurter Messe über genügend Fahrstühle verfügt, die der Läuferin der LG Eintracht Frankfurt das Treppensteigen ersparten. »Wenn nicht alles wehtun würde, wäre es nicht normal, denn dann hätte ich nicht alles gegeben. Ich bin immer noch total happy, auch wenn es ein bisschen brauchen wird, bis ich realisiert habe, was ich da geleistet habe«, sagte die 30-Jährige am Montag, keine 24 Stunden nachdem sie beim Frankfurt Marathon eins der seltener gewordenen Ausrufezeichen aus deutscher Sicht bei solch einer Großveranstaltung gesetzt hatte.
Mit ihren 2:27:26 Stunden unterbot »Katha«, besser bekannt unter dem Mädchennamen Heinig, beim zweitgrößten deutschen Marathon nicht nur locker ihre Bestzeit um mehr als eine Minute. Sie lief auch zwei Minuten schneller als die deutsche Olympianorm. »Mit meiner Zeit habe ich natürlich ein Brett vorgelegt, meine Chancen sind erheblich gestiegen, dass ich dabei bin. Natürlich hoffe ich, dass nicht noch zwei Mädels schneller laufen werden.« Sicher ist der Startplatz der gebürtigen Äthiopierin Melat Kejeta, die in Berlin mit 2:23:57 in der ewigen deutschen Bestenliste auf Platz zwei gestürmt war. Steinruck schaffte am Sonntag die zehntbeste je von einer Deutschen gelaufenen Zeit über 42,195 Kilometer.
Starke Vorleistungen über zehn Kilometer und im Halbmarathon hatten bei der Polizistin, die auf ihrer Dienststelle im 16. Revier in Frankfurt-Griesheim fest in einer Ermittlungsgruppe eingebunden ist, auf ihren Coup in der Mainmetropole hingedeutet. »Aber Theorie und Praxis sind ein großer Unterschied.« Gerade ihr war oft vorgehalten worden, nach diversen Verletzungen nicht genügend Zutrauen in ihre Fähigkeiten zu setzen: 2015 hatte eine erste Operation an der Ferse ihre Karriere bedroht, im vergangenen Jahr kam ein zweiter Eingriff dazu. Dafür hat sich wohl kaum jemand über alternative Trainingsmethoden vom Skiroller bis zum Aquajogging ein so breites Fundament zugelegt wie die gebürtige Leipzigerin, der das Lauftalent in die Wiege gelegt worden ist.
Mutter Katrin Dörre-Heinig gehörte schon in den 80er Jahren zu den besten Marathonläuferinnen der Welt, gewann 1988 im DDR-Dress Olympiabronze in Seoul. In den 90ern kamen Siege bei wichtige Stadtmarathons in London, Berlin, Osaka oder Frankfurt am Main dazu. Ihre Bestzeit: 2:24:35 Stunden. Heute arbeitet die 58-Jährige als Bundestrainerin und als Heimtrainerin ihrer Tochter. Der Laufstil der beiden ist ähnlich, ansonsten aber mag die »kleine Heinig« derlei Vergleiche gar nicht. »Wir leben in einer völlig anderen Zeit. Es ist nicht realistisch, dass ich ihre Erfolge wiederhole.«
Dass sie nach der Hochzeit im vergangenen Jahr den Namen ihres Mannes annahm, unterstrich den Abnabelungsprozess - und doch ist sie der Mutter zumindest mit der neuen Bestzeit jetzt wieder näher gekommen. Sie weiß, dass ihr Mädchenname vor allem wegen ihres Vaters Wolfgang Heinig polarisiert, der unter anderem die mit ihr bestens befreundete 3000-Meter-Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause trainiert. »Er ist halt ehrlich und direkt. Das kommt nicht immer gut an.« Der Vater hatte sie bis 2013 trainiert. Seitdem hat die Mutter das Sagen, »und Papa hält sich raus«. Sie sei aber froh, »dass ich einen guten Topf an Wissen habe, aus dem ich schöpfen kann«. Die innige Umarmung mit den Eltern im Ziel sprach Bände. »Es ist von uns allen unheimlich viel Last abgefallen«, sagte sie.
Die Olympischen Spiele 2020 sind das große Ziel. Die wegen zu großer Hitze in Tokio avisierte Verlegung der Marathonläufe nach Sapporo kann Steinruck nur begrüßen. »Das ist eine gute Entscheidung, denn die Spiele sind für die Athleten.« Bilder von kollabierenden Athletinnen wie jüngst bei der Leichtathletik-WM in Doha brauche niemand. Katharina Steinruck hat vor einigen Jahren einen Staffellauf in Japan bestritten und kann sagen: »Das ist ein völlig euphorisches Läuferland. Der Stimmung wird eine Verlegung keinen Abbruch tun. Wo wir nächsten Sommer den olympischen Marathon laufen, ist komplett egal.«
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