Stadt der verlorenen Bäume

Für die Alten und die Vögel - ein Rentner lässt im Märkischen Viertel Bäume pflanzen.

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

Zehn Bäume werden es im November, danach ist Schluss. »Drei Hainbuchen werden noch gepflanzt, dann ist das Geld alle«, sagt Johannes Meyer. Der 84-Jährige steht vor der Skate-Anlage im Märkischen Viertel in Berlin-Reinickendorf und blinzelt in die tief stehende Oktobersonne. Er stehe hier oft und schaue den Jugendlichen und Kindern bei ihren sportlichen Kunststücken zu, erzählt er mit leiser Bewunderung.

»Wissen Sie, was ein Machandelbaum ist?«, fragt Meyer. Machandel ist ein anderer Name für Wacholder. Man nennt ihn so in manchen ostdeutschen Gegenden - unter anderem im Erzgebirge. Dort ist Johannes Meyer geboren, in Schwarzenberg, bekannt geworden durch den gleichnamigen Roman von Stefan Heym. Ein Machandelbaum war der erste Baum, den Meyer hat pflanzen lassen - vor drei Jahren hier im Märkischen Viertel, wo er seit sieben Jahren wohnt. Und wo seine Frau vor drei Jahren gestorben ist. Ihren Tod, erzählt der Rentner, habe er zum Anlass genommen und an einem kleinen Teich, bis zu dem seine Frau am Ende noch gut habe laufen können, eine Bank aufstellen und einen Baum pflanzen lassen.

»Von der Bank aus sieht man unsere Wohnung dort drüben im zwölften Stock«, sagt Meyer und zeigt auf die erste Neubausiedlung West-Berlins. Einen Ruheplatz habe er schaffen wollen, erzählt er, vor allem für die alten Menschen, von denen viele schon seit den 60er oder 70er Jahren hier wohnen - einen Ruheplatz mit Bank und Baum. Also kontaktierte Meyer das Grünflächenamt, wählte eine Bank aus und ließ ein Erinnerungsschild an seine Frau anbringen. Und eben den Machandelbaum pflanzen. Ein wenig Asche der Verstorbenen gab er an die Wurzeln. Das Geld für die Bäume kommt von den Ersparnissen seiner Frau, mit denen sie sich einen Elektrorollstuhl anschaffen wollte.

Seit 60 Jahren lebt Johannes Meyer in Berlin. Mehr als 50 Jahre davon war das nahe gelegene Pankow sein Zuhause. Eigentlich habe er dort sterben wollen, erzählt der Rentner. Aber als seine Frau schwer erkrankte, mussten sie die Altbauwohnung verlassen. Also zog das Ehepaar mit Mitte 70 in die Reinickendorfer Neubausiedlung, Fahrstuhl inklusive. »Unsere Sachen hätte ich mit einem Handwägelchen hierherfahren können«, erinnert sich Meyer. Er spricht freundlich, schnell und präzise.

Für jede der 17 000 Wohnungen im Märkischen Viertel hat der West-Berliner Senat vor über 40 Jahren einen Baum pflanzen lassen. In den vergangenen Jahren haben Krankheiten, Überalterung, Schädlingsbefall sowie Verletzungen an Rinde und Wurzelwerk dazu geführt, dass viele dieser Bäume gefällt werden mussten. Gut geht es aber kaum einem der insgesamt 430 000 Stadtbäume in Berlin, sagt Derk Ehlert von der Senatsumweltverwaltung. Genaue Daten, wie viele Bäume woran eingehen, gebe es nicht. Generell könne man jedoch sagen, dass Hitze und Trockenheit der vergangenen Sommer den Bäumen sehr zugesetzt haben. Ebenso sehr litten sie aber unter Streusalz und Wurzelverletzungen durch Baumaßnahmen. Und wenn ein Baum erst mal geschwächt sei, könne er an allem Möglichen eingehen. Im Wald, erzählt der Experte, könne ein Baum 400 Jahre alt werden, ein vergleichbarer Baum in der Stadt bringe es höchstens auf 80 Jahre. »Ich möchte kein Straßenbaum sein«, sagt Ehlert.

Geld für ausreichend viele Nachpflanzungen gibt es jedoch nicht. Bereits 2012 initiierte der Senat deshalb die Kampagne »Stadtbäume für Berlin«, bei der private Spender Geld geben. »In diesem Jahr haben wir den 10 000. Stadtbaum seit Beginn der Kampagne gepflanzt«, freut sich Ehlert. 2000 Euro kostet es, einen Baum zu pflanzen und in den ersten drei Jahren zu pflegen, berichtet der Mitarbeiter der Senatsumweltverwaltung. Die Stadt gibt ab einem Spendenbetrag von 500 Euro den Rest dazu. »Aber jeder noch so kleine Betrag hilft«, sagt Derk Ehlert.

Ehlert wünscht sich, dass die Berliner*innen mehr Verantwortung für ihre Bäume übernehmen. 15 Millionen Euro hat die Stadtbaumkampagne das Land Berlin laut Ehlert bislang gekostet. Drei Viertel der Bäume seien senatsfinanziert. Zusätzlich würden die Bezirke jährlich 20 Millionen Euro für Pflanzungen und die Pflege von Bäumen ausgeben. Nur 48 Euro erhalten die Bezirke pro Jahr und Baum für die Pflege - die Kosten liegen aber eher bei 80 Euro.

Auch Johannes Meyer findet, dass es für seine Aktion »ruhig ein paar Nachahmer« geben könne. Gelobt werden wolle er für sein Engagement aber nicht. Sein Wachholderbaum ist nach dem heißen Sommer 2018 eingegangen. An dessen Stelle steht seit diesem Frühjahr ein Mehlbeerbaum. »Ich wollte unbedingt etwas mit Beeren, für die Vögel«, sagt der Rentner.

Ob er auch beruflich mit Bäumen zu tun hatte? Johannes Meyer lacht und erzählt, dass er bis 1959 elektrische Energietechnik im Ilmenau studiert und anschließend bis 1990 im VEB Berliner Bremsenwerk am Ostkreuz gearbeitet hat. Im selben Jahr, gerade war Meyer 60 Jahre alt geworden, wurde er in Rente geschickt, der Betrieb von der Treuhand aufgelöst.

Ein wenig Stadtbaumexperte ist Meyer mittlerweile aber doch. Er sehe, wie sehr die von ihm gepflanzten Stadtbäume für Lebensqualität sorgen, sagt er. Bäume reinigen die Luft und spenden Windschutz und Schatten - nicht nur für alte Menschen ein Gewinn. In zwei Wochen startet die nächste Stadtbaum-Pflanzperiode. Bis zum 15. März 2020 kann man dafür spenden.

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