Mehr Züge, aber noch keine Verkehrswende

Verkehrsclub ist nicht unzufrieden mit dem Koalitionsvertrag, hätte sich allerdings mehr gewünscht

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Da die Autos der Pendler nach Berlin im Berufsverkehr an vielen Stellen im Stau stecken oder nur langsam vorankommen, bewegt sich etwas in der Politik. Selbst die CDU hatte vor der Landtagswahl am 1. September eingesehen, dass der Bau neuer Straßen allein nicht weiterhelfen wird. Radwege müssen in einen ordentlichen Zustand versetzt oder neu angelegt werden. Die Berliner S-Bahnen sollten auch im brandenburgischen Umland künftig überall im Zehn-Minuten-Takt verkehren und nicht bloß alle 20 Minuten, wie es teilweise der Fall ist. Voraussetzung dafür ist der Ausbau bislang nur eingleisiger Strecken. Im Koalitionsvertrag von SPD, CDU und Grünen ist der Zehn-Minuten-Takt als »langfristiges Ziel« enthalten. Das bedeutet: Es soll etwas daraus werden, aber nicht so bald.

Auch außerhalb des Berliner Speckgürtels sollen mehr Züge fahren. An jedem Bahnhof im Bundesland soll mindestens einmal in der Stunde ein Zug halten. Um die Lärm- und Abgasbelastung zu reduzieren und Parkraumprobleme zu entschärfen, soll es eine Prämie für Lastenfahrräder geben.

Die Grünen sind stolz auf diese Abschnitte im Koalitionsvertrag. »Im Verkehrsbereich wir nicht gekleckert, sondern geklotzt. Der Schienenverkehr wird deutlich ausgeweitet«, rühmt der Landesvorsitzende Clemens Rostock. Ein Landesparteitag empfahl den Mitgliedern am Sonnabend, dem Vertrag in der noch bis zum kommenden Wochenende laufenden Urwahl zuzustimmen. Parteitage der SPD und der CDU sollen den Vertrag am Freitagabend und am Sonnabend absegnen.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) ist nicht unzufrieden mit dem, was sich die drei Parteien vorgenommen haben. Ganz zufrieden ist er aber auch nicht. Das im Koalitionsvertrag Versprochene sei »ein erster Schritt, aber noch keine Verkehrswende«, heißt es in einer Einschätzung.

Der VCD-Landesvorsitzende Fritz Viertel begrüßt die verheißenen Verbesserungen beim Öffentlichen Personennahverkehr und für Radfahrer. »Wir befürchten jedoch, dass die Verkehrswende mit den geplanten Maßnahmen nicht schnell genug umgesetzt werden kann, um die Klimaschutzziele zu erreichen«, sagt er. Die Kapazitäten im Regionalverkehr auszubauen sei richtig und dringend erforderlich. Auch erkennt Viertel an, dass sich mit den 20 Millionen Euro, die künftig pro Jahr für Investitionen in Radwege fließen sollen, die gravierendsten Probleme beheben lassen, »die sich durch die Sparpolitik der letzten Jahre aufsummiert haben«. Mittelfristig, so glaubt der VCD-Landesvorsitzende, würden jedoch 50 Millionen Euro pro Jahr benötigt.

Defizite sieht der VCD beim Thema Verkehrssicherheit. Denn Brandenburg bekennt sich zwar zu der Vision, dass niemand mehr im Straßenverkehr ums Leben kommen soll. Doch im vergangenen Jahr habe es in Brandenburg 57 Unfalltote je eine Million Einwohner gegeben und damit sei das Land im Bundesvergleich wieder eines der Schlusslichter gewesen, bedauert Fritz Viertel. Er vermisst im Koalitionsvertrag ein Engagement für Tempo 30 innerhalb von Ortschaften. Auch wenn die Straßenverkehrsordnung Bundessache sei und sich eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer nicht auf Landesebene machen lasse, gebe es doch einen Ermessensspielraum.

Der VCD hatte vor der Landtagswahl seine Forderungen an die Parteien verschickt. Er hätte sich gewünscht, dass mehr davon im Koalitionsvertrag auftaucht. Trotzdem freue man sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Verkehrsminister, heißt es. Das Ressort wird an die CDU gehen. Darauf hat sich die Koalition bereits verständigt.

»Der Koalitionsvertrag ist eine Richtschnur. Mehr geht immer«, glaubt Fritz Viertel. Mehr kann der Politik vielleicht auch noch durch die Volksinitiative »Verkehrswende für Brandenburg jetzt« abgetrotzt werden. Sie läuft seit dem 15. August. Der VCD macht mit. Mindestens 20 000 Unterschriften müssen innerhalb eines Jahres gesammelt werden, damit sich der Landtag der Sache annimmt. Mehr als 5000 Listen, auf denen je fünf Bürger unterschreiben können, sind verschickt worden, erläutert Viertel. Wie viele schon beisammen sind, kann er nicht sagen. Er ist aber optimistisch, dass die Hürde von 20 000 Unterschriften genommen wird. Um die Jahreswende herum solle es eine Offensive zur Unterschriftensammlung geben. Seite 9

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.