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Das Ende des »Buen Vivir«
Boliviens Präsident Evo Morales reicht nach anhaltenden Protesten seinen Rücktritt ein
In der Redaktion der einflussreichen unabhängigen Tageszeitung »Pagina Siete« ging am Sonntagabend und Montagmorgen nichts mehr. »Aus Sicherheitsgründen hat Pagina Siete die Arbeit eingestellt«, war auf der Homepage zu lesen. Nach dem Rücktritt von Evo Morales, so die letzte Meldung, seien Anhänger der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) von Evo Morales auf die Straße gezogen und hätten für Chaos gesorgt und sogar Privathäuser von Regierungskritikern angegriffen.
Morales hatte am Sonntagabend sein Rücktrittsgesuch an das Parlament unterzeichnet und danach vor laufenden Kamaras den Schritt damit begründet, so den »sozialen Frieden zu gewährleisten«. In der Nacht vom Sonntag auf Montag war es dann in zahlreichen Stadtteilen von La Paz und Umgebung zu Vandalismus gekommen, wofür das Gros der Medien Anhänger des zurückgetretenen Präsidenten verantwortlich macht.
Neben Evo Morales haben auch Vizepräsident Álvaro García Linera und Senatspräsidentin Adriana Salvatierra ihre Ämter niedergelegt. Noch am Montag wollte das Parlament einen Übergangsstaatschef bestimmen. Morales wirft der Opposition vor, einen Putsch gegen ihn angezettelt zu haben.
Über Twitter erklärte er, dass die Polizei einen illegalen Haftbefehl gegen ihn habe und dass gewalttätige Gruppen sein Haus angegriffen hätten. Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard bot Morales derweil Asyl an. Sein Land habe in seiner Vertretung in La Paz bereits 20 Angehörige der bolivianischen Regierung und des Parlaments aufgenommen. Morales erklärte jedoch, er wolle in Bolivien bleiben: »Der Kampf wird weitergehen und bleibt Teil unseres Lebens.« epd/nd
Die Amtsaufgabe war in La Paz nicht unbedingt erwartet worden, die Haltung des Militärs hat wohl auch dazu beigetragen. Deren Führungsspitze unter Oberbefehlshaber Williams Kaliman hatte den Präsidenten nach zwei Wochen anhaltender Proteste aufgefordert zurückzutreten, um die »Situation im Land zu befrieden und die Stabilität des Landes zu aufrechtzuerhalten«.
Zuvor waren bereits etliche Polizisten der Eliteeinheit UTOP, die auch den Präsidentenpalast in La Paz an der Plaza Murillo schützt, zu den Demonstranten übergelaufen, die in vielen Stadtteilen seit Tagen protestieren. Sie werfen Morales Wahlfälschung vor. Er hatte sich nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober zum Sieger erklärt, obwohl die Opposition und internationale Beobachter erhebliche Zweifel anmeldeten. Indizien dafür, dass es bei der Auszählung der Stimmen im Wahlgericht und mit Hilfe des computergestützten Auszählungssystems Unstimmigkeiten gab, hatte es zuhauf gegeben.
Als am Sonntag die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in ihrem Bericht Manipulationen bei der Wahl beschrieben und eine Annullierung empfahlen, geriet die Regierung Morales weiter unter Druck. Die Entscheidung folgte, Neuwahlen durchzuführen, und wenig später der Rücktritt des Mannes, der Bolivien in den letzten knapp 14 Jahren als erster indigener Präsident geprägt und verändert hat.
So sieht der Soziologe Marco Gandarillas in der neuen plurinationalen Verfassung einen zentralen Verdienst der Regierung Morales. Sie billigt allen Ethnien einen Platz zu, und so bekommen auch diejenigen eine Stimme, die seit der Unabhängigkeit außen vor waren. Zudem habe Bolivien unter Morales’ Regie mehr soziale Verantwortung übernommen und für eine linke Regierung in Lateinamerika beispielslose ökonomische Stabilität gebracht.
Doch die hat auch einen hohen Preis gekostet, denn unter der Regierung gab es in den letzten Jahren ökonomische Fehlentscheidungen, die das Land viel Geld gekostet hat. Der ehemalige UN-Botschafter Boliviens, Pablo Solón, kritisiert zum Beispiel die Politik Morales, das Land zur energietechnischen Drehscheibe der Region zu machen: »Bereits heute hat Bolivien eine Kraftwerkskapazität von 3200 Megawatt, gebraucht werden nur 1600 Megawatt. Es gibt aber keine Verträge zum Export der überschüssigen Energie, und weitere Kraftwerksprojekte sind geplant.«
Niederlage für die Linke
Nach dem Rückzug von Boliviens Präsidenten Morales werden vor allem die Armen leiden
Wegen solcher Entscheidungen habe die Regierung an Rückhalt verloren. Der Raubbau an der Natur, wofür die Brände im Amazonastiefland Synonym waren, widersprechen der offiziellen Regierungsleitlinie des »Buen Vivir«, des harmonischen Zusammenlebens mit Mutter Erde. Das kritisieren vor allem junge Wähler.
Doch ausschlaggebend für den Niedergang von Morales war die Tatsache, dass er sich über den im Referendum 2016 geäußerten Wählerwillen hinweggesetzt hatte und eine weitere Amtszeit anstrebte. Damals wurde die von ihm gewünschte Verfassungsänderung abgelehnt, die Präsidenten mehr als zwei aufeinander folgende Amtszeiten erlaubt hätte - ein Steilpass für das rechte Lager.
Loslassen lernen
Evo Morales hätte als hervorragender Präsident in die Geschichte eingehen können
Nun steht auch Morales’ Partei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) vor einem Problem. Sollte Evo, wie gemutmaßt wird, nicht erneut antreten, fehlt MAS ein Kandidat. Nach einem Nachfolger hat die MAS nie Ausschau gehalten. Man war zu 100 Prozent auf Evo fixiert.
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