Chlorgasangriff oder nicht?
Treffen der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) von Meinungsverschiedenheiten über Duma in Syrien überschattet
Am 14. April 2018 bombardierten Kampfjets der USA, Großbritanniens und Frankreichs Damaskus und Umgebung. Der Angriff sollte Vergeltung für einen angeblichen Chemiewaffenangriff auf den Ort Duma, östlich von Damaskus sein. Nun gibt es Hinweise, dass ein Chemiewaffenangriff in Duma am 7. April 2018 nicht stattgefunden haben könnte. Drei OPCW-Quellen haben sich zu Wort gemeldet, die an den Untersuchungen in Douma beteiligt waren.
Im Mai 2019 gelangte der Bericht eines Ballistikers an die Öffentlichkeit, der zu der Schlussfolgerung kommt, das zwei Chlorzylinder die nach Angaben von Augenzeugen von Flugzeugen auf zwei Häuser abgeworfen worden seien und Dutzende Menschen töteten, eher manuell dort platziert worden sein könnten.
Im Oktober 2019 meldete sich mit »Alex« eine weitere Quelle zu Wort, die an der Duma-Untersuchungsmission beteiligt war. Vor Ort genommene Proben hätten keinen Nachweis von großen Chlormengen erbracht, so die Quelle. Die Höhe von chlorhaltigen Substanzen sei so gering gewesen, wie sie normalerweise in Reinigungsmitteln oder im Trinkwasser vorkämen. Das Untersuchungsteam sei in die Fertigstellung der veröffentlichten Berichte nicht einbezogen worden, man sei durch anonyme Personen eines Vertragsstaates (Namen wurde nicht genannt) massiv eingeschüchtert worden. Tote, die mit Schaum vor dem Mund fotografiert worden waren, seien bereits beerdigt gewesen und hätten nicht untersucht werden können. Die Symptome stimmten »nicht mit der Einwirkung von Chlor überein«, so »Alex«.
Internationale Persönlichkeiten wie der erste OPCW-Generaldirektor José Bustani, der ehemalige stellvertretende UN-Generalsekretär Hans von Sponeck, der langjährige Waffeninspekteur in Irak, Scott Ritter, und Noam Chomsky, forderten in einem offenen Brief an Repräsentanten der OPCW-Vertragsstaaten, dass den Teilnehmern des Duma-Untersuchungsteams die Möglichkeit gegeben werden müsse, »in einem geeigneten Rahmen« bei der aktuellen Vertragsstaaten-Konferenz der OPCW in Den Haag ihre abweichenden Beobachtungen vorzutragen. Das öffentliche Vertrauen in die OPCW müsse wieder hergestellt werden.
Das Auswärtige Amt wies die Forderung zurück. Auf Anfrage der Autorin hieß es: »Eine erneute Befassung mit dem Bericht der Fact-Finding-Mission (FFM) zu Duma auf der Vertragsstaatenkonferenz (ist) nicht vorgesehen.« Man verwahre sich gegen jeden Versuch, »die Glaubwürdigkeit der OPCW zu unterminieren«.
Nun veröffentlichte Wikileaks ein internes Schreiben einer anonymen Person, die ebenfalls an den Duma-Untersuchungen beteiligt war und »schwerste Bedenken« bereits vor der Veröffentlichung des Zwischenberichts am 6. Juli 2018 geäußert hatte. Das Schreiben stammt vom 22. Juni.
Er habe festgestellt, dass der vom Untersuchungsteam vorgelegte Berichtsentwurf so sehr verändert worden sei, dass der »Sachverhalt verdreht« dargestellt werde, ist in dem Brief zu lesen. Tatsachen und Beobachtungen in dem »abgeänderten Bericht« seien »selektiv ausgelassen« worden. Dadurch sei »eine unbeabsichtigte Tendenz in den Bericht eingeführt (worden), was seine Glaubwürdigkeit untergräbt«. Andererseits seien wesentliche Tatsachen, die in der bearbeiteten Fassung verblieben seien, zu etwas »völlig anderem verwandelt worden, als es ursprünglich skizziert worden war«. In dem Schreiben werden Beispiele ausgeführt, die der Autor als »besonders besorgniserregend« bezeichnet. Seine Bitte, seine abweichenden Beobachtungen in den Bericht aufzunehmen, wurde nicht berücksichtigt.
Bei der Jahreskonferenz der OPCW-Vertragsstaaten bekräftigte der amtierende Generaldirektor Fernando Arias am Montag, es gebe »vernünftige Gründe« anzunehmen, dass giftige Chemikalien als Waffe bei dem Angriff in Duma am 7. April 2018 eingesetzt wurden. Ob es zu einer Aussprache über die abweichenden Beobachtungen der Inspektoren der Duma-Mission kam, ist (bei Redaktionsschluss) nicht bekannt.
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