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Riskante Untergrenzen bei Pflege
Es gibt Diskussionen, nach welchen Standards Stellen in Kliniken besetzt sein müssen
Viele Tausende Pflegekräfte wurden in deutschen Kliniken in den vergangenen Jahren abgebaut. Der gewerkschaftliche Kampf gegen die so erzeugte Arbeitshetze zielt zunehmend darauf, die Pflege zu entlasten. Gleichzeitig ist der Markt für Pflegekräfte so gut wie leer gefegt. Daher ist die neue Zusicherung per Gesetz, dass jede eingestellte Pflegekraft von der gesetzlichen Krankenversicherung refinanziert wird, nicht viel Wert.
Zur Zeit laufen Auseinandersetzungen um die Personalbemessung, also um Standards, nach denen Pflegestellen besetzt sein müssen. Vor diesem Hintergrund versammelten sich am vergangenen Freitag und Sonnabend Menschen vom Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« in Berlin zu einem Bewegungsratschlag. Zum Bündnis gehören kritische Ärztinnen und Ärzte, Medizinstudierende, die Interventionistische Linke, einige ver.di-Landesfachbereiche sowie LINKE-Politiker.
Wieviel Pflegepersonal braucht ein Krankenhaus? Diese Frage ist nicht trivial. Methoden zur Personalbemessung in der Pflege gibt es in der Bundesrepublik seit einigen Jahrzehnten. Begonnen wurde schon in den 50er Jahren mit sogenannten Anhaltszahlen, wie Jan Latza, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag, in einem Workshop der Berliner Veranstaltung erläuterte. Die Messmethoden wurden bis 1992 genutzt, auf ihrer Basis führten die Krankenhäuser Budgetverhandlungen mit den gesetzlichen Kassen.
Nach öffentlichen Protesten zum Pflegenotstand Ende der 80er Jahre folgten zwischen 1993 und 1996 dann Pflegepersonal-Regelungen (PPR). Dafür wurden Minutenwerte für bestimmte Pflegetätigkeiten festgelegt. Das führte zum Personalaufbau in der Pflege. Dann wurde das Verfahren zu teuer - auch bundesweit - und wieder abgeschafft. Insgesamt wären 26 000 zusätzliche Vollzeitarbeitskräfte nötig gewesen.
Eigentlich dienten die PPR aber nur den Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen. Eine Form gesetzlicher Personalbemessung waren sie nicht. Ab 1996 folgten zehn Jahre Personalabbau, in denen genau jene vorher teils neu eingestellten 26 000 Vollzeitstellen gestrichen wurden.
Seit Anfang des Jahres 2019 gelten für sechs »pflegesensitive Bereiche« Personaluntergrenzen. Unter anderem für kardiologische und geriatrische Abteilungen. Ab 2020 soll es Vorgaben für die gesamte Pflege im Krankenhaus geben. Bis Jahresende wollen die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und ver.di hierzu einen Vorschlag vorlegen. Etliche Klinikträger setzen inzwischen ebenfalls auf eine Veränderung, weil ihnen die Pflegekräfte weglaufen.
Eine weitere Entwicklung wurde Anfang 2018 mit dem Koalitionsvertrag angestoßen: Demnach sollen aus den Fallpauschalen für die Krankenhäuser in Zukunft die Pflegekosten herausgerechnet werden. Gelingt dies, wäre eine Selbstkostendeckung für die Pflege wieder möglich.
Was aber tun, wenn es gar keine Pflegekräfte mehr gibt, die eingestellt werden können? Und woher werden sich die Krankenhäuser dann die Investitionskosten abzweigen, die eigentlich von den Bundesländern kommen müssten? In der Berliner Debatte wurden diese Fragen hin- und hergewälzt. Das System der Fallpauschalen war in den letzten 13 Jahren eine der wichtigsten Säulen der Krankenhausfinanzierung. Es sorgte jedoch dafür, dass sich Kliniken auf lukrative Eingriffe konzentrierten und trug zur gnadenlosen Kommerzialisierung bei. Jetzt könnten die Fallpauschalen ausgehöhlt werden, wenn noch andere Kosten herausgerechnet werden.
Auch viele Krankenhausärzte fänden es sinnvoll, wenn ihre Arbeit nach dem realen Bedarf und nicht nach Fallpauschalen bezahlt würde.
Noch liegt zur Einführung allgemeiner Personaluntergrenzen für die Pflege kein Verhandlungsergebnis vor. Dass sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kommendes Jahr noch einmal der Krankenhausfinanzierung zuwenden will, bedeutet für die Teilnehmer des Bewegungsratschlags in Berlin, wachsam zu bleiben.
Der Pflegewissenschaftler Michael Simon glaubt nicht, dass es eine grundsätzliche Abkehr von den Fallpauschalen geben wird, »jedenfalls nicht mit diesem Minister.«
Das Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« diskutierte zudem, die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens mit einer Verfassungsklage in Frage zu stellen. Demnach könnten Bereiche der Daseinsvorsorge, wie die Krankenhäuser, nicht profitorientiert organisiert werden, sagte Uwe Alschner vom Interessensverband kommunaler Krankenhäuser.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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