Arbeitslosengeld II: Wann darf das Amt in welcher Höhe Darlehen zurückfordern?

Beim ALG II gibt viele Anlässe, bei denen das Amt »Geld zurückfordern« kann. So müssen etwa Darlehen zurückgezahlt werden. Wird eine Bildungsmaßnahme schuldhaft abgebrochen, wird ein Schadensersatz fällig; und wenn die Hilfebedürftigkeit mutwillig herbeigeführt wurde, hat das Amt ebenfalls einen Ersatzanspruch. Im Folgenden gibt die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen Hinweise, wann das Amt berechtigt ist, Darlehen zurück zu verlangen.

Die zentrale Frage ist, wann das Amt Darlehen und andere Ansprüche »eintreiben« darf. Mit dem laufenden ALG-II-Bezug dürfen Ansprüche des Amtes nur in klar definierten Ausnahmefällen verrechnet werden - das heißt, nur in seltenen Ausnahmefällen darf das ALG II gekürzt werden.
Solche Aufrechnungen sind laut Sozialgesetzbuch II (SGB II) nur in zwei Fällen zulässig:

Erstens: Für einen unabweisbaren Bedarf, der von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst wird, wurde ein Darlehen gewährt, das nun zurückgezahlt werden muss (§ 23 Abs. 1 SGB II).
In diesem Fall darf die monatliche Aufrechnung bis zu 10 Prozent betragen - bezogen auf die auszuzahlende Summe aller Regelleistungen für die Bedarfsgemeinschaft. Es liegt im Ermessen des Amtes, den Prozentsatz festzulegen. So sind auch Aufrechnungssätze nahe Null möglich und - in Verbindung mit § 44 SGB 11 kann das Amt die Darlehensschuld auch erlassen.
Wichtig: Eine Aufrechnung zur Tilgung eines Darlehens ist dann und nur dann! - zulässig, wenn es für einen Bedarf gewährt wurde, der der Regelleistung nach § 20 Abs. 1 zuzurechnen ist. In allen anderen Fällen, in denen ein Darlehen zurückgezahlt werden muss, ist eine Aufrechnung nicht zulässig.
Das heißt konkret, dass in den nachfolgenden Fällen die Rückzahlung eines Darlehens erst fällig wird, nachdem der ALG-II-Bezug beendet wurde:
- Darlehen für eine Mietkaution (§ 22 Abs. 3 SGB II)
- Darlehensweise Übernahme von Mietschulden, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden (§ 22 Abs. 5 SGB II)
- Darlehensweise Leistungsgewährung für einen Monat, in dem voraussichtlich Einkommen zufließt (§ 23 Abs. 4 SGB II)
- Darlehensweise Leistungsgewährung, weil Vermögen zwar vorrangig einzusetzen ist, aber nicht sofort verwertet werden kann (§ 23 Abs. 5 SGB II)

Zweitens: Die Rückforderung des Amtes beruht darauf, dass der Leistungsbezieher vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat (§ 43 SGB II). In allen anderen Fällen ist eine Aufrechnung, also die Kürzung des ALG-II-Anspruchs rechtswidrig!
In diesem Fall darf die Aufrechnung bis zu 30 Prozent betragen - bezogen auf die Regelleistung der Person, gegen die das Amt einen Anspruch auf Erstattung oder Schadensersatz hat. Dies ist eine deutliche Verschärfung gegenüber dem alten Sozialhilferecht und der Aufrechnungsregelung nach SGB XII. Die Aufrechnung ist auf drei Jahre begrenzt.
Wichtig: Eine Aufrechnung ist dann - und nur dann! - zulässig, wenn Leistungen zu unrecht gezahlt wurden (»Überzahlung«), weil der Leistungsbezieher »vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben« (§ 43 SGB II) gemacht hat. Es muss also ein aktives Fehlverhalten des Leistungsbeziehers vorliegen. Wenn es der Leistungsbezieher hingegen »bloß« versäumt, eine Änderung (z.B. Einkommenszufluss) mitzuteilen, dann rechtfertigt dies keine Aufrechnung!
Vorsätzlich handelt, wer wissentlich und willentlich - also zielgerichtet - falsche Angaben macht. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und selbst Dinge nicht beachtet oder bedenkt, die jedem einleuchten müssten.
Liegt ein solches »Fehlverhalten« nicht vor, dann ist eine Aufrechnung nicht zulässig und rechtswidrig. Erst recht ist eine Aufrechnung natürlich rechtswidrig, wenn die Überzahlung auf einem Fehler des Amtes beruht.
Das bedeutet:
- Wenn das Amt sich »verrechnet« und zuviel bzw. zu Unrecht Leistungen auszahlt, dann darf nicht aufgerechnet werden. Dies gilt selbst bei einer offensichtlichen Überzahlung, die der Leistungsberechtigte leicht erkennen kann.
- Ebenso wenig dürfen Ersatzansprüche des Amtes nach § 34 SGB II aufgerechnet werden, d.h. selbst wenn jemand seine Hilfebedürftigkeit »mutwillig« selbst herbeigeführt hat (so genanntes »sozialwidriges Verhalten«) darf das Amt seine Ersatzansprüche nicht durch Einbehaltungen von laufenden ALG-II-Leistungen eintreiben. Unter Umständen greifen jedoch Sanktionen nach § 31 Abs. 4 SGB II.

Rechtlicher Hintergrund
§ 51 SGB I regelt für alle Sozialleistungen die Möglichkeit von »Aufrechnungen«. Danach darf nur dann aufgerechnet werden, wenn die Geldleistung pfändbar ist (Abs. 1) und der Leistungsbezieher nicht nachweist, dass er durch die Aufrechnung hilfebedürftig nach SGB II oder SGB XII wird (Abs. 2) -- was beim laufenden Bezug von ALG II ja aber offensichtlich ist. Im Klartext: »Eigentlich« darf beim ALG II nie aufgerechnet werden.
Aber: Die §§ 43 SGB II (= Aufrechnung nach »falschen Angaben«) und 23 Abs. 1 (= Aufrechnung zur Tilgung von Darlehen für Bedarf, der von der Regelleistung umfasst ist) haben als Spezialvorschrift Vorrang gegenüber der allgemeinen Regelung im SGB I. Sie definieren abschließend, wann Aufrechnungen beim ALG II ausnahmsweise zulässig sind. In allen anderen Fällen, für die es im SGB II keine spezielle und ausdrückliche Regelung zur Aufrechnung gibt, greift dann wieder der genannte § 51 SGB I, also das Verbot von Aufrechnungen.

Rechtliche Gegenwehr
Nach Erfahrungen praktizieren die Ämter vielfach unzulässige Aufrechnungen und behalten Geld ein, das dringend zum Leben gebraucht wird. Besonders »beliebt« scheinen Darlehen rund um die Unterkunftskosten (Erstausstattungen, Umzugskosten, Mietkautionen) zu sein, die dann in den Folgemonaten verrechnet werden. Nicht selten »verarbeiten« die Ämter auch rechtzeitig gemeldete Änderungen (zum Beispiel über einen Nebenverdienst) viel zu spät, so dass es monatelang zu Überzahlungen kommt, die dann rechtswidrig wieder vom aktuellen Leistungsanspruch abgezogen werden.
Es wird daher empfohlen, auch wenn es bekanntlich Mühe macht und Nerven kostet, sich rechtlich gegen unzulässige Aufrechnungen zu wehren. Doch da die Rechtslage eindeutig und die Praxis der Ämter vielfach offenkundig rechtswidrig ist, sind die Erfolgsaussichten gut!
Widersprüche gegen noch nicht bestandskräftige Aufrechnungsbescheide haben aufschiebende Wirkung. Rückforderungen des Amtes und daraus resultierende Aufrechnungen unterliegen nicht dem § 39 SGB II (= sofortige Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten über Leistungen der Grundsicherung)
Im Regelfall besteht der Vorgang der Aufrechnung aus drei Teilentscheidungen des Amtes: Aus einem Aufhebungsbescheid (»Überzahlung« wird korrigiert), einem Rückforderungsbescheid (bestimmt die Geldsumme, die erstattet werden soll) und einem Aufrechnungsbescheid (laufende Geldleistung wird um eine monatliche Rückforderung gekürzt). Die Teilentscheidungen können auch in einem Bescheid zusammengefasst sein.
Die Arbeitsloseninitiativen empfehlen »sicherheitshalber« und der Klarheit wegen immer auch ausdrücklich, der Aufrechnung zu widersprechen, etwa auch in dem Fall, das die Rückforderung selbst strittig ist und sich der Widerspruch im Kern dagegen richtet.
Besonders »lohnend« ist es auch, alte rechtswidrige Aufrechnungsbescheide im Nachhinein über einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X (»Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts«) anzufechten. Denn wenn das Amt monatelang unzulässig aufgerechnet hat, könn...

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