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Wer hat Olof Palme auf dem Gewissen?

Stieg Larsson beschäftigte sich mit einem der »unglaublichsten Mordfälle« und Jan Stocklassa mit diesem »Erbe«

  • Matthias Penzel
  • Lesedauer: 5 Min.

Auch als die Weltordnung leicht in Schwarz-Weiß oder Gut-Böse aufzuteilen war und der Krieg kalt, auch da war die politische Wirklichkeit nicht einfacher als heute. Die Kennedys und Martin Luther King wurden in aller Öffentlichkeit abgeschossen, Willy Brandt eher metaphorisch, aber ganz reell wurde noch 1986 oben im Norden Olof Palme in einer nasskalten Februarnacht mitten auf der Straße hingerichtet. Täter unbekannt.

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Außerhalb von Schweden respektiert für seinen Drahtseilakt bei der Vermittlung zwischen NATO und Warschauer Pakt, hatte der Sozialdemokrat in seiner offen, fast sozialistisch aufgestellten Heimat viel Gegenwind. Schmierenkampagnen, Attacken von Neonazis, Bürgertum und Militärs; selbst im linken Lager diffamierten ihn Asyl-Gegner. Alles ganz offen, kein Geheimnis.

Täter bis heute unbekannt: Das ist ungewöhnlich; in den meisten Rechtsstaaten werden etwa neun von zehn Tötungen schnell aufgeklärt, Morde an Polizisten in Schweden zu fast 100 Prozent.

Sein Tod beendete die Unschuld des Wohlfahrtsstaates, blauäugig gern imaginiert als Nation der Schönen und Moderaten. Relativ bekannt ist, dass die Hintergründe nie aufgeklärt wurden. Ein verwirrter Einzeltäter wurde zwei Jahre später festgenommen, verurteilt, inhaftiert, freigelassen und für unschuldig erklärt.

Erste Ermittlungen leitete der Chef der Bezirkspolizei, der mit Mordfällen keinerlei Erfahrung hatte und sich trotz vieler Spuren früh auf eine Theorie festlegte - so blockte er monatelang mehr als 300 Beamte (um die PKK zu überführen, was nicht gelang) - und der, wie sich herausstellte, enge Verbindungen unterhielt zu legal fragwürdigen Aufräumtrupps mit faschistoiden Methoden. Auch ohne ihn kam es zu Pannen und Disastern. Für die Untersuchung wäre der Staatsschutz zuständig gewesen, doch der hatte ja bereits versagt bei seinem Auftrag, das - bekanntermaßen bedrohte - Staatsoberhaupt zu beschützen. Alleine zum »Palme-Attentat« existieren mehr Wikipedia-Einträge als zu dem von einem Rechtsextremisten ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Palmes Vision eines »dritten Wegs« hassten viele: im Militär, unter Industriellen (speziell im Rüstungsbereich), auch unter den Vorläufern der Schwedendemokraten sowie die üblichen Verdächtigen (EAP, Nazis, Demagogen). Denn Palme wolle, so die Begründung, das Land an Moskau verkaufen, was dann damit geendet hätte, dass Schweden heute so dastünde wie Griechenland. Schönheitsfehler an diesem Narrativ: 1975 bezeichnete er die Regierung der ČSSR als »Kreatur der Diktatur«, den Einmarsch in Afghanistan verurteilte er offen.

Ein damals unbekannter Illustrator hatte das Glück, dass er durch seinen Job in einer News-Agentur bereits Stunden nach der Tat von der Polizei exakte erste Informationen erhielt, um eine Grafik des Tatorts und der Umgebung anzufertigen - und das, bevor Spuren und Motive vermischt wurden, tatsächlich Tausende Zeugenaussagen eingingen. Sein Name: Stieg Larsson. Mehr als 80 Millionen kennen seine mehrfach verfilmte »Millenium-Trilogie« - auf Deutsch unter den Titeln »Verblendung«, »Verdammnis« und »Vergebung« erschienen. Von dem Glück wusste Larsson nicht, er starb, bevor seine Bücher zu Hits wurden. Mit 50. Sehr jung, wie auch sein Großvater. Sein Vermächtnis - 15 Umzugskartons über mögliche Täter, Drahtzieher eines komplexen Komplotts gegen Palme - wurde zehn Jahre später ausgewertet. Stieg Larssons Erbe blättert auf, wie der kleine Stieg von seinem Großvater erzogen und belehrt wurde, später zwar nicht Stalinist wurde, aber ebenfalls beinharter Antifaschist. Engagiert bis zum Umfallen.

»Der Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme ist, um ganz ehrlich zu sein, einer der unglaublichsten Mordfälle, die ich je zu betreuen hatte«, tippte Larsson drei Wochen nach dem Attentat. Zwar kein Anhänger der Sozialdemokraten (da radikaler als die), entsetzten ihn die behördlichen Ermittlungen, die sich in den abstrusesten Sackgassen verliefen, valide Zeugenaussagen durch bequemere ersetzten.

Wie sein getippter Brief an die antifaschistische Zeitschrift »Searchlight« illustriert, war er mit diversen Krimis und Spionage-Thrillern bestens vertraut, aber seine eigentliche Obsession war das Sammeln von Infos über die Neue Rechte, die auch schon 1987 keineswegs neu war. 1995 schmiss er den Dayjob und gab »Expo« heraus, seine Version der britischen Antifa-Schrift, und übte sich nebenher als Thriller-Autor. Bis zum Herzinfarkt.

Seine Unterlagen hat Jan Stocklassa über Jahre studiert - für sein Buch »Stieg Larssons Erbe«, ein True-Crime-Hybrid im Graubereich zwischen Sachbuch und Krimi. Stocklassa ist Verdachtsspuren in Prag, Zypern, Südafrika nachgegangen und undercover bei Facebook. Seine Bilanz ist sehr spannend, teilweise schwer überschaubar, schon der vielen ähnlichen Nachnamen wegen - und plausibel bis zum Schluss.

Mehr als 10 000 Zeugen wurden von der Polizei angehört, manche Fixer von einem Fahnder gegen Geld für ein genehmes Einzeltäter-Narrativ bestochen, doch Stocklassa führte Larssons »Erbe« fort und setzt auf eine Verschwörung mit - Achtung, Spoiler! - Rassisten und professionellen Hitmen, Iran und Waffenexporten. Realpolitik. Geheimmission im Dienst von Wirtschaft und Politik.

Die Wahrheit ist vermutlich, dass - so wie im Mordfall JFK - sehr viele den Mann im Visier hatten. Je nachdem, welche Puzzlesteine man wählt, lässt sich das nachvollziehbar konstruieren. Wie ein Mosaik. Schön ist es nicht. Oder wie ein Spinnennetz. Das Buch »Im Spinnennetz der Geheimdienste« von Patrik Baab und Robert E. Harkavy zeigt andere Connections auf und kommt zu einem teilweise ähnlichen Verdikt. Das Buch ist schon 2017 erschienen und eine weiterführende Empfehlung für Interessierte, die von Dokumenten und Belegen nicht genug kriegen können.

Ganz schön verworren? Es liegt in der Natur der Nachrichtendienste, deren Geheimnistuerei in einem Rechtsstaat ein Paradox ist. Doch es gibt sie, und es gibt die Interessen und Konflikte - bei Palme so wie bei dem in der Badewanne verstorbenen Uwe Barschel, der im Schlaf erschossenen Petra Kelly und bei Alexander Dubček, der an den »Folgen eines Autounfalls« starb, mehr als zwei Monate nach dem Unfall, den der Chauffeur mit Schrammen überlebte.

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