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Armut trotz Aufschwung groß
Paritätischer Wohlfahrtsverband fordert mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger
Der Chef des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, hat gegenüber »neues deutschland« ein Maßnahmenpaket gegen Armut und insbesondere eine Anhebung der Grundsicherungsleistungen gefordert. »Bildungs- und Infrastrukturinvestitionen sind richtig und wichtig. Aber das einzige, was den Menschen, die in Armut sind, sofort hilft, aus dieser Lage zu kommen, ist mehr Geld«, erklärte Schneider. Konkret fordert der Verband eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze auf 582 Euro und einen zehnprozentigen Aufschlag darauf für Menschen in der Altersgrundsicherung. Für sie sei die Grundsicherung ein Dauerzustand und nicht mit der Perspektive auf Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verbunden, so Schneider.
Anlass für diese Forderungen ist der aktuelle Armutsbericht des Wohlfahrtsverbandes, der am Donnerstag erscheint. Demnach gelten 2018 noch immer 15,5 Prozent der Bundesbürger*innen statistisch gesehen als arm - 2017 waren es noch 15,8 Prozent. Damit sank die Zahl erstmals seit 2014. Allerdings erreicht der neue Wert noch bei weitem nicht das Niveau vor der Finanzkrise 2007/8. Damals lag die gesamtdeutsche Armutsquote noch bei 14,4 Prozent.
Als arm gilt in dem Bericht des Paritätischen, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens in Deutschland zur Verfügung hat. Das entspricht der EU-Definition von Armutsgefährdung. 2018 waren das bei einem Singlehaushalt 1035 Euro pro Monat. Für seinen Bericht verwendet der Paritätische Wohlfahrtsverband die aktuellen Daten des Mikrozensus. Dank der hohen Befragtenzahl sind die Ergebnisse auch auf regionaler Ebene aussagekräftig.
Der Paritätische weist in seinem Bericht darauf hin, dass einige für den Armutsbericht relevante Gruppen nicht vom Mikrozensus erfasst werden, beispielsweise Menschen in Pflegeheimen, von denen mehr als ein Drittel Sozialhilfeleistungen bezieht, Geflüchtete in Sammelunterkünften, oder Wohnungslose. Ursache ist, dass im Mikrozensus nur Personen befragt werden, die einen eigenen Haushalt führen. Die zuvor genannten Personengruppen zählen für die Statistiker*innen nicht dazu. Die tatsächlichen Zahlen der Armutsgefährdung dürften also noch höher liegen.
Den erstmaligen Rückgang der Armut seit einigen Jahren nennt der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem Bericht »erfreulich«. Doch Hauptgeschäftsführer Schneider sieht angesichts der gesunkenen Zahlen keinen Anlass zur Entwarnung: »Der Rückgang hat in Zeiten beinahe perfekter Bedingungen stattgefunden. Bei den Tarifverträgen wurden Rekordabschlüsse erzielt, die Arbeitslosenzahl ist deutlich geringer als noch vor einigen Jahren. Und trotzdem haben wir noch ein so hohes Niveau.« Es sei zudem unklar, ob sich der Rückgang in den nächsten Jahren fortsetzen könne, so Schneider.
Vor allem zeigt der Bericht noch eine besorgniserregende Entwicklung auf: In einigen Regionen verfestigt sich Armut, in anderen gab es in den vergangenen zehn Jahren eklatante Verschlechterungen. Zu den Sorgenregionen zählt erneut das Ruhrgebiet. Es bleibe mit einer Armutsquote von 21,1 Prozent bei 5,8 Millionen Einwohner*innen die »Problemregion Nummer 1«. Die Regionen Duisburg/Essen sowie Düsseldorf zählt der Bericht zu den Absteigern, die mit den deutlichsten Anstieg bei der Armut verzeichnen.
Auch das eigentlich wohlhabende Hessen wird im Bericht gesondert erwähnt. Zwar steht es im Ländervergleich weiterhin auf einem Platz im Mittelfeld. Doch die Armut ist dort seit dem Jahr 2008 um 24 Prozent gestiegen und »damit so stark wie in keinem anderen Bundesland«. Die Region Mittelhessen zählt der Bericht gar zu den »abgestiegenen« Gebieten Deutschlands.
Im Osten ist die Armut hingegen etwas zurückgegangen und näherte sich der Westdeutschlands an - auch weil diese im Westen seit Jahren steigt. Trotzdem sind die Armutsquoten in den meisten östlichen Bundesländern weiterhin überdurchschnittlich hoch. Besonders schlecht standen 2018 Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mit einer Quote von 19,5 beziehungsweise 20,9 Prozent da. Die wenigsten Armen haben erneut Bayern und Baden-Württemberg mit einer Quote von weniger als zwölf Prozent.
Der Politik bescheinigt der Paritätische Wohlfahrtsverband »armutspolitisches Versagen«. »Es wäre Aufgabe dieses Sozialstaates, dafür Sorge zu tragen, dass bei zunehmendem Wohlstand alle mitgenommen werden«.
Armutsexperte Schneider fordert neben höheren Regelsätzen angesichts der schlechten Lage einiger Regionen einen eigenen Fonds: »Es gibt viele Kommunen, die sich nicht mehr am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können. Da brauchen wir ein Entschuldungsprogramm, sonst kriegen sie infrastrukturell nichts mehr hin. Dann dreht sich dort die Problemspirale nur noch weiter und weiter.«
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