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Die grüne Kröte ist geschluckt
Sachsens CDU macht den Weg für die erste Kenia-Koalition im Freistaat frei
Dieser Wunsch wurde prompt erfüllt. »Ich möchte, dass wir auch über Bedenken und Sorgen sprechen«, sagte Michael Kretschmer, nachdem er auf einem Parteitag der von ihm geführten CDU Sachsen für den Koalitionsvertrag mit Grünen und SPD geworben hatte. Gleich der erste Redner kam der Einladung nach: In dem Papier steckten zahlreiche »Kröten für unser bisheriges CDU-Denken«, sagte Markus Reichel, der Chef der Mittelstandsunion MIT. Er habe »Sorge, dass jetzt der Umbau unserer Gesellschaft beginnt«.
Sachsens CDU steckt in einem Dilemma. Einerseits will man weiter regieren, so wie stets in den fast 30 Jahren seit Neugründung des Freistaats. »Das gibt es nur in ganz, ganz wenigen Bundesländern«, sagte Kretschmer. Andererseits ist man dafür nach einem Wahlergebnis von nur noch 32 Prozent nicht mehr nur auf die SPD als Partner angewiesen, sondern auch auf die Grünen, deren Politik man indes bisher als kompletten Gegenentwurf zu den eigenen Überzeugungen ansah. Nun soll die Ökopartei Partner sein und zudem zwei aus CDU-Sicht zentrale Ressorts, die für Landwirtschaft und Justiz, führen.
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Kretschmer hält das für vertretbar. In den drei Verhandlungsmonaten sei »viel Vertrauen entstanden«, sagte er. Das Bündnis erlaube die Fortsetzung der bisherigen »bürgerlich-konservativen Politik«; der Vertrag trage »eine klare Handschrift der CDU«. Der designierte Ministerpräsident, der am 20. Dezember gewählt werden soll, konnte allerdings in weiten Teilen nur darauf verweisen, »was wir abgewehrt haben«: Abschaffung der Kopfnoten, Wahlalter 16, Verbandsklagerechte, Bildungsfreistellungsgesetz. Bei der Polizei würden neue Stellen geschaffen. Dass zugleich die von der CDU bisher strikt abgelehnte Kennzeichnungspflicht kommt - »das nehme ich auf mich«, sagte Kretschmer. Nur damit habe man verhindern können, dass die Gespräche an einem kritischen Punkt scheiterten.
Tatsächlich ließ das Ergebnis der Wahl vom 1. September der CDU keine Alternative, wie Kretschmer in der Diskussion klarstellte - angesichts von Forderungen aus der rechtskonservativen Werteunion, eine Minderheitsregierung zu bilden, weil nur eine solche eine »bürgerliche Politik« zulasse, wie ihr Landesvize Sven Eppinger meinte. Der vorliegende Vertrag setze dagegen »große Teile der Agenda zweier sächsischer Splitterparteien« um; er klinge »in weiten Passagen rot-grün«.
Kretschmer konterte scharf. Was an bürgerlicher Politik mit Grünen und SPD möglich sei, »steckt in dem Vertrag«. Mit Blick auf theoretische Koalitionsalternativen sagte er, mehr davon sei auch mit der LINKEN nicht denkbar. Und dass eine Zusammenarbeit mit der AfD vor der Wahl ausgeschlossen worden sei, habe sich in drei Sitzungen des Landtags seither als richtig erwiesen. Die AfD-Abgeordneten träten aggressiv, feindlich gegenüber der CDU und abschätzig gegenüber den »Werten unseres Landes« auf, sagte Kretschmer. »Mit diesen Leuten haben wir nichts zu tun.«
Es ist wohl eher dieser Einsicht in fehlende Alternativen als wirklicher Überzeugung geschuldet, dass dem Vertrag schließlich nur etwa 30 der 412 Delegierten die Zustimmung verwehrten. »Mit 32 Prozent können wir nicht 100 Prozent Unionspolitik umsetzen«, sagte Florian Oest, Landeschef der Jungen Union. Die größte Hürde für das Bündnis ist damit wohl genommen; bei Grünen und SPD, wo Mitgliederbefragungen zum Vertrag laufen, gilt eine Ablehnung als eher unwahrscheinlich. In der Werteunion warnt man nun vor einem weiteren Niedergang der CDU. »Mit dieser Koalition«, sagte Landeschef Ulrich Lenk, »werden wir nicht Wähler zurückgewinnen, sondern weitere verlieren.« Kretschmer indes gibt sich überzeugt, dass die ungeliebte Koalition der CDU nicht schaden müsse: »Wenn wir es klug anstellen, gehen wir gestärkt daraus hervor.«
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