Der Oppositionsführer

Linksfraktionschef Sebastian Walter läuft dem AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz den Rang ab

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Linksfraktionschef Sebastian Walter hält eine Rede im brandenburgischen Landtag. Es gibt Zwischenrufe aus den Reihen der AfD. Inhaltlich reagiert Walter nicht darauf, politisch schon. Kurz und trocken schiebt er in seine Rede einen Zwischensatz ein: »Mit Nazis rede ich nicht.« Die eigene Partei feiert ihn für seine Geistesgegenwart. Eine Videosequenz der Szene macht im Internet die Runde und sorgt dort für Begeisterung.

Dabei kann es vorkommen, dass Walter für seine klare Haltung im Parlament Ärger bekommt. Als er im Landtag äußert, die AfD trampele im Geiste auf den Opfern ihrer Vorgängerorganisationen herum, meint er damit, dass die AfD eine Nachfolgeorganisation der NSDAP sei. Dafür kassiert er einen Ordnungsruf vom Landtagsvizepräsidenten - aber das ist Andreas Galau (AfD). Walter steht zu seinen Bemerkungen. Bei einem Landesparteitag bekräftigt er: AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz’ »Vorfahren im Geiste sind die Nazis und dafür kassiere ich jederzeit gern einen Ordnungsruf«.

Am 1. September 2019 ist Sebastian Walter im Alter von nur 29 Jahren in den Landtag eingezogen und dort gleich Fraktionsvorsitzender geworden. Als Chef einer von 17 auf zehn Abgeordnete geschrumpften Fraktion übernimmt er eine sehr schwere, fast unlösbare Aufgabe. Er muss einerseits als Oppositionspolitiker dem Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Paroli bieten, mit dem die LINKE jahrelang als Juniorpartner ziemlich vertrauensvoll koaliert hatte, und er muss sich andererseits klar von AfD-Frontmann Kalbitz abgrenzen, der den Ministerpräsidenten selbstverständlich ebenfalls ins Fadenkreuz nimmt.

Dabei hat Kalbitz die bessere Ausgangsposition, weiß er doch 22 Abgeordnete der eigenen Partei hinter sich und nicht bloß neun wie Walter. Doch die numerische Unterlegenheit bedeutete bislang keineswegs, dass die Linksfraktion ins Hintertreffen geriet. Das liegt hauptsächlich am selbstbewussten Auftreten von Sebastian Walter. Und auch daran, dass er inhaltlich etwas zu sagen hat und dies gut herüberbringt. Dagegen poltert Kalbitz hemdsärmelig und zerfahren, wenn er ans Rednerpult tritt. Er hat ein begrenztes Repertoire von ein paar immer wieder nur leicht abgewandelten Phrasen.

Die LINKE hatte befürchtet, im Rundfunk und in den Zeitungen kaum noch zitiert zu werden, nachdem sie bei der Landtagswahl von 18,6 auf 10,7 Prozent abgestürzt war. Doch Walter kommt gut an. Ihm hilft, dass er bereits in jungen Jahren im Landesvorstand mit Öffentlichkeitsarbeit befasst war und ein auch längeres Praktikum bei Fraktionspressesprecherin Alexa Lamberz im Landtag absolvierte. Daher hat er noch die Kontakte. Die Journalisten nehmen gern ein paar Sätze von ihm, eher als von Kalbitz - und das liegt nicht etwa nur an der politischen Orientierung. Zwar ist das Geschimpfe von Kalbitz abstoßend. Doch keineswegs sympathisieren die Redakteure der meinungsbildenden Blätter mit den Idealen der Linkspartei - im Gegenteil. Sie bemühen sich aber, wie es das journalistische Handwerk verlangt, um eine zumindest halbwegs ausgewogene Berichterstattung. Dafür benötigen sie zu den Verkündigungen der rot-schwarz-grünen Koalition jeweils auch die Stimme der Opposition.

Wie das Beispiel von Sebastian Walter zeigt, wird man Oppositionsführer nicht automatisch durch die Stärke der Fraktion, die hinter einem steht, sondern auch durch die Qualität der Oppositionsarbeit, die man abliefert. Einen ähnlichen Fall gibt es derzeit im Berliner Abgeordnetenhaus. Hier wird inzwischen Sebastian Czaja von der kleineren FDP-Fraktion als der Oppositionsführer angesehen, weil er sich besser verkauft als Burkard Dregger von der CDU.

Im Potsdamer Landtag steht Walter nicht allein da. Er hat als Co-Fraktionschefin die 53-jährige Kathrin Dannenberg an seiner Seite. Sie sitzt bereits seit 2014 im Landtag und ist also auch in dieser Hinsicht erfahrener. Das Zusammenspiel der beiden klappt ausgezeichnet. Sie kommen hervorragend miteinander zurecht. Mit Freunden in der Politik ist das so eine Sache. Nicht umsonst gibt es die ironische Steigerung: Freund, Feind, Parteifreund. Aber Walter ist mit Dannenberg als Spitzenkanditenduo in einem äußerst schwierigen Landtagswahlkampf durch dick und dünn gegangen.

»Es war nicht so, dass wir überall im Land mit offenen Armen empfangen worden sind«, erinnert sich Walter. Das schweißte die beiden zusammen. »Ich vertraue Kathrin Dannenberg. Ich würde sie meine Freundin nennen«, verrät Walter.

Bei allen Lobliedern, die auf Sebastian Walter gesungen werden, darf nicht ausgespart bleiben, dass einzelne seiner Genossen nicht komplett mit ihm zufrieden sind. Nachdem er bereits als 19-Jähriger Kreisparteichef im Barnim wurde, zeigten sich bei Walter, so heißt es bedauernd, inzwischen erste Anzeichen eines allzu routinierten Berufspolitikers, der Kritik zuweilen einfach abbügele. Dies sei schade, denn er sei doch einmal so ein herzerfrischendes Talent gewesen, dass zu den größten Hoffnungen Anlass gegeben habe.

Zuletzt zeigte sich Walter aber auch nachdenklich. Er hatte nicht auf jede Frage sofort eine Antwort und fragte andere um Rat, was als angenehm empfunden wird. »Wir müssen selbst unsere größten Kritiker sein, unsere Fehler schonungslos analysieren«, mahnt er mit Blick auf die Wahlschlappe vom 1. September.

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