»Engelbrot« will Hort der Kunst im Kiez sein
Betreiber öffnen Haus und Hof in Alt-Moabit 48, um ihren Stil mit Hilfe der Besucher zu finden
»Engelbrot« nennt sich die ehemalige Boulevard-Spielstätte jetzt, und auch das Konzept ist völlig anders als früher. Mit einer Mischung aus Theater, Literatur, Kino, Musik und Partys soll das Haus zum Treffpunkt ganz unterschiedlicher Publikumskreise werden. Schon die Zusammensetzung der vier, alles Abkömmlinge der freien Kunst- und Kulturszene, spricht für ein vielseitiges Programm: Hans-Peter Trauschke (41), zusammen mit Ludo Vici (39) Motor des Ganzen, ist ausgebildeter Regisseur, Schauspieler und Bühnenbildner und hat vor etlichen Jahren bereits in München ein Theater gegründet. Daher kennt er auch seinen Kollegen Vici. Die beiden anderen im Bunde sind der Elekronik-Musiker Friedrich Liechtenstein, der seine Karriere ebenfalls als Schauspieler und Regisseur begann, sowie der Bühnenbildner Knut Hetzer.
»Ich arbeite hier mit allen guten Leuten zusammen, die ich in den letzten 20 Jahren getroffen habe«, erzählt Trauschke, der sich eigentlich schon längst von der Bühne verabschiedet und auf Theater- Kunstprojekte verlegt hatte. Doch als das Hansa-Theater, direkt gegenüber seines Studios gelegen, 2005 endgültig Insolvenz anmelden musste, griff »doch wieder der Theatervirus um sich«. Nach langen Verhandlungen mit Besitzer Artur Brauner haben die vier das Theater nun für zehn Jahre gepachtet und sind ganz unbescheiden angetreten, um renommierten Häusern wie dem BE oder dem DT Konkurrenz zu machen.
Schon in den ersten zwei Monaten ist einiges passiert, obwohl der Coup, Rolf Eden für eine Rolle im Eröffnungsstück »Die Stühle« von Ionesco zu verpflichten, nach hinten losging - der Alt-Playboy lag am Premierenabend mit Fieber im Bett. Dafür ernteten die Newcomer reichlich Lob für Peter Brooks Interpretation von Becketts »Glückliche Tage«, einer gerafften Version der gefeierten Erstaufführung aus dem Renaissance-Theater mit Miriam Goldschmidt in der Hauptrolle.
Auf Bühnenbild, Requisiten und Kostüme wird verzichtet, und so wollen Trauschke und Vici es auch in Zukunft halten. Absurdes und groteskes Theater wird gezeigt, mit dem Fokus auf Schauspielern und Text. Die vielen Bühnenbilder, für die im Hansa-Theater jede Menge Geld ausgegeben wurde, haben sie ohnehin entsorgt, die jetzt leeren Lagerräume werden an Tanz- und Theatergruppen oder für Foto-Shootings vermietet. Denn Subventionen lehnen die vier strikt ab, sie wollen es aus eigener Kraft schaffen, über Eintrittsgelder und den Erlös aus den Vermietungen sowie mit Hilfe von Sponsoren und Mäzenen.
Immerhin, das erste Jahr ist gesichert. Wer dort investieren will, kann Theateraktien kaufen. Für Summen zwischen 30 und 3333 Euro erhält man einen handsignierten Druck des Künstlers Paul Heimbach. Etliche dieser farbenfroh gestreiften Drucke schmücken das Foyer, das auch in Zukunft als Ausstellungsraum dienen wird. Ebenso wie die Bar, die jeden Abend geöffnet haben und so zum Treffpunkt im Kiez werden soll - »Theater als Ort, wo sich Künstler und Leute aus dem Kiez treffen«, wie Trauschke formuliert. Im zum Biergarten umfunktionierten Hof mit seinen Schatten spendenden Kastanienbäumen kann man täglich ab 14 Uhr sitzen. Das heißt, wenn man sich nicht an den vielen Taxi-Fahrzeugen stört, die aus unerfindlichen Gründen nebenan abgestellt wurden.
Ein gemischtes Publikum ist überlebenswichtig für das neue Theater, deshalb lockt man mit Formel 1-Übertragungen, Partys mit Leuten aus den Schwesternstädten Berlins, Kino am Sonntagabend und Balladen im Stil einer Radioshow, die Friedrich Liechtenstein und das NBI-Orchester morgen aufführen.
»Wir müssen langsam unseren Stil aufbauen, dann entwickelt das Haus von selbst genügend Strahlkraft«, hofft Ludo Vici. Schnell musste schon dazugelernt werden, was das Bezirksamt Mitte beispielsweise am 13. Juli zum Fehlen der in einem Theater dieser Größe unabdingbaren Brandsicherheitswache anmahnte. Vici gestern: »Wir spielen jetzt immer mit Feuerwehrmann!«
Engelbrot, Alt-Moabit 48, Tiergarten, Infos am Telefon 39 74 31 02 oder www.engelbrot.com
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