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Tripolis ruft, Erdogan hört
Türkische Truppen sollen bald im Bürgerkriegsland Libyen stationiert werden.
Plötzlich soll alles ganz schnell gehen: Bereits am 8. oder 9. Januar soll das Parlament dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan einen Blankoscheck für die Entsendung von Soldaten nach Libyen ausstellen. Indessen betitelt selbst das von Erdogans Schwiegersohn kontrollierte Massenblatt »Sabah« die Libyen-Affäre als reichlich »kompliziert«, und das ist sie auch. Die Regierung der nationalen Einheit (GNA) von Fayiz as-Sarradsch wird von den Vereinten Nationen anerkannt. Unterstützt wird sie neben der Türkei hauptsächlich von Katar und der EU, insbesondere von Italien. Doch vor den Toren von Tripolis steht seit April die Armee von General Chalifa Haftar. Deshalb hat die GNA vergangene Woche den türkischen Präsidenten um Unterstützung gebeten.
Auf der Seite von General Khalifa Haftar stehen Ägypten, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate - sudanesische Soldaten und russische Söldner der Firma Wagner sollen ihn militärisch unterstützen. Zudem mischt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Seite des Generals mit. Von den USA an Frankreich gelieferte Raketen wurden in Haftars Waffenarsenal entdeckt und Macron hatte ihn bereits zwei Mal wie einen Staatsgast empfangen. Ein Grund für Erdoğans Liaison mit der Nationalen Einheitsregierung liegt unter dem Boden des Mittelmeeres. Ankara erkennt die Republik Zypern nicht an und beharrt entsprechend auf Rechten am Kontinentalsockel über die Insel hinweg. Dort sucht die Türkei nach Erdgas und konkurriert dabei vor allem mit Israel, Griechenland und Zypern. Ankara schloss deshalb am 27. November ein Abkommen mit der Interimsregierung in Tripolis über den Festlandsockel im Mittelmeer.
Ob durch ein Entsenden türkischer Truppen die chaotische Lage in Libyen weiter eskaliert, hängt davon ab, wie massiv Erdoğan militärisch eingreifen wird und wie Russland sich dabei verhält. Während Moskau bisher einem Kompromiss unter Einbeziehung Haftars zuneigt, meint der türkische Außenpolitikexperte Cengiz Candar, Libyen könnte durchaus eine Karte im Spiel um die Zukunft der letzten Rebellenprovinz Idlib in Syrien sein. Die türkischen Stützpunkte, die Idlib umgeben, werden bislang von Assads Truppen meistens umgangen. Wegen der Kriege in Syrien und Libyen gibt es intensiven Kontakt zwischen Moskau und Ankara. Am 8. Januar, wenn die Libyen-Resolution im türkischen Parlament ansteht, kommt Putin nach Ankara. Dass Erdoğan sein Sprachrohr »Sabah« noch nicht auf Krieg geschaltet hat, könnte damit zusammenhängen, dass er im Stillen die Gespräche mit Putin abwartet. Viel Begeisterung haben seine Pläne im Land ohnehin nicht ausgelöst. Die nationalistische, aber Erdoğan-kritische Zeitung »Sözcü« fragte: »Was haben wir mit Libyen zu tun?«
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