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  • Bürgerschaftswahl in Hamburg

Kampf in Nahdistanz

In Hamburg konkurrieren SPD und Grüne um den Sieg bei der Bürgerschaftswahl im Februar

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 5 Min.

Von Wahlplakaten verspricht Carola Veit, »die ganze Stadt im Blick« zu haben. Die Sozialdemokratin ist Bürgerschaftspräsidentin seit 2011, als die SPD nach fast zehn Jahren in der Opposition wieder die Regie in Hamburg übernahm. Ganz besonders dürfte Veit die jüngste infratest-Umfrage im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks im Blick haben: Danach könnte die 46-Jährige ihr Amt behalten, ihr Parteifreund Peter Tschentscher den Bürgermeisterstuhl nach der Wahl am 23. Februar allerdings für seine grüne Stellvertreterin Katharina Fegebank räumen müssen. Mit 28 Prozent bliebe die SPD zwar die stärkste Kraft an Alster und Elbe, die Grünen (26 Prozent) könnten jedoch mit CDU (17 Prozent) und FDP (sechs Prozent) knapp einen neuen Senat bilden. LINKE (elf Prozent) und AfD (sieben Prozent) würden in der Opposition bleiben.

Boxerisch gesprochen, erlebt Hamburg einen Infight: Die rot-grünen Koalitionspartner bekämpfen einander aus der Nahdistanz. Sie befinden sich in derselben Gewichtsklasse; von den entfernten Oppositionsbänken drohen überdies keine Wirkungstreffer. Niemand glaubt, dass CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg (»Wir sind die Dynamischen«) eine Chance besitzt, das Erbe seines Parteikollegen Ole von Beust anzutreten, der die Hansestadt von 2001 bis 2010 regiert hat.

Von guten Umfragewerten befeuert, rief die Zweite Bürgermeisterin Fegebank Ende September 2019 das Ziel aus, selbst Erste Bürgermeisterin zu werden. Strategisch können beide Regierungsparteien darauf hoffen, dass die interne Polarisierung die eigene Klientel mobilisiert - vergleichbar mit den jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland, die sich jeweils auf ein Duell der stärksten Regierungspartei mit der AfD zuspitzten. Zugleich wissen beide Parteien, dass sie nach der einzigen Landtagswahl des Jahres in Deutschland möglicherweise wieder aufeinander angewiesen sein werden - was im Senat eher zu einem Nebeneinander als einem Gegeneinander geführt hat; schließlich will niemand den vermeintlichen Amtsbonus durch zu raue Worte gefährden.

Das Problem für Fegebank: Erstes weibliches Stadtoberhaupt wird sie wohl nur mit Hilfe von CDU und FDP, da die SPD mit ihrem Selbstverständnis als natürliche Regierungspartei der Stadt kaum als Juniorpartnerin in einen grün-roten Senat eintreten würde, falls die Grünen tatsächlich zur stärksten Kraft werden sollten. Das Projekt »Jamaika an der Alster« erlebte Ende 2019 allerdings einen herben Rückschlag auf kommunaler Ebene, als es den Bezirksabgeordneten von Grünen und CDU in zwei Anläufen nicht gelang, den Eimsbütteler SPD-Bezirksamtsleiter Kay Gätgens abzuwählen und durch die Grüne Katja Husen zu ersetzen. Trotz detailliert ausgearbeiteten Koalitionsvertrags gab es jeweils drei Abweichler, die den Machtwechsel im Hamburger Innenstadtbezirk verhinderten - ein symbolischer Rückschlag für Fegebank, aber eine schallende Ohrfeige für den grünen Justizsenator Till Steffen, der als grüner Kreisverbandschef von Eimsbüttel den Wechsel von SPD zu CDU mitinitiiert hatte. Die Lokalausgabe der »taz« sprach von einem »Amateur-Putsch«.

Das war Wasser auf die Mühlen der SPD, die wie schon in den sieben Bürgermeisterjahren von Olaf Scholz (2011-18) auf die Wahlkampfkarte »solides Regieren« setzt. Scholz’ Nachfolger Tschentscher war in dieser Zeit Finanzsenator, angesichts der steigenden Mieten in der Millionenstadt versprach er nun, sich um die »Bezahlbarkeit des Lebens in Hamburg« zu kümmern. Auch wenn die Mieten zuletzt langsamer stiegen als zuvor, stehen viele Viertel weiterhin unter Gentrifizierungsdruck; vor allem an günstigen Wohnungen in der Innenstadt mangelt es. Wohnen zählt neben Bildung und Verkehr seit langem zu den Dauerbrenner-Themen im dicht besiedelten Stadtstaat. Der Umweltschutz ist durch die auch in Hamburg weit verbreiteten Freitagsdemonstrationen hinzugekommen.

Gemeinsam vereinbarte der rot-grüne Senat das Ziel, die Stadt bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Für Neubauten sollen deshalb ab 2023 Solaranlagen auf den Dächern vorgeschrieben sein. Für den Bürgermeister bedeutet dies »Klimaschutz im Einklang mit Industrie, hoher Lebensqualität und viel Mobilität«. Den Grünen geht das nicht schnell genug. Fegebank hat Klimaneutralität bis 2035 als Ziel ausgerufen.

»Die Klimaziele müssen erreicht werden, und sie müssen sozial erreicht werden«, mahnte Cansu Özdemir, die für eine LINKE-Spitzenkandidatin rekordverdächtige Umfragewerte erreicht. 35 Prozent der Hamburger äußerten sich zufrieden mit der Arbeit der 31-Jährigen, die so mit Abstand beliebteste Oppositionspolitikerin ist. CDU-Bürgermeisterkandidat Weinberg liegt mit 22 Prozent abgeschlagen dahinter. Mit Özdemir hofft die Linkspartei, erstmals ein zweistelliges Ergebnis in der Hansestadt zu erzielen. Das »solidarische Hamburg von morgen« will die LINKE mit einem Mietendeckel und einer 50-Prozent-Quote für Sozialwohnungen erreichen.

Auf mehr Markt setzt dagegen FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels, die mit dem Slogan »Die Mitte lebt« in den Wahlkampf zieht und aufgrund der schwächelnden bürgerlichen Konkurrenz von der CDU wieder auf den Einzug in die Bürgerschaft hoffen darf. Ob die Liberalen dort das Zünglein an der Waage werden, hängt vor allem von der Stärke der Grünen ab - und vom Abschneiden der AfD, die Dirk Nockemann an die Spitze ihrer Liste gewählt hat. Der ehemalige Innensenator der Schill-Partei setzte sich im Machtkampf mit Fraktionschef Alexander Wolf durch.

Insgesamt kämpfen 15 Parteien um die regulär 121 Sitze in der Hamburgischen Bürgerschaft. Jeder Wähler vergibt zehn Stimmen, fünf in einem der 17 Wahlkreise, fünf für Kandidaten auf der Landesliste. Im Februar 2015 erhielt die SPD 45,6 Prozent der Listenstimmen, die CDU 15,9 Prozent, die Grünen 12,3 Prozent, die Linke 8,5 Prozent. Die AfD schaffte damals mit 6,1 Prozent ihren ersten Einzug in ein westdeutsches Landesparlament.

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