Häuptling der Streusandbüchse

Kondolenzbuch für verstorbenen Ex-Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) füllt sich

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Brandenburgs früherer Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) habe ihm viele Ratschläge gegeben - »per SMS, klassisch per Brief oder in Gesprächen bei einer Tasse Kaffee«, erinnert sich der ehemalige Staatskanzleichef Thomas Kralinski (SPD). »Immer gut, immer uneigennützig« seien diese Ratschläge gewesen. Sie werden ihm fehlen, bedauert Kralinski. Gerade hat er sich am Donnerstagvormittag um 11.14 Uhr in der Staatskanzlei in das Kondolenzbuch für Stolpe eingetragen. Der in Stettin geborene Politiker war in der Nacht zum Sonntag nach langer und schwerer Krebserkrankung im Alter von 83 Jahren verstorben.

Seit Dienstag liegt das große dicke Kondolenzbuch in der Potsdamer Staatskanzlei aus und ist mittlerweile schon zur Hälfte gefüllt. Die Trauernden stehen am Donnerstagmorgen zwar nicht mehr Schlange, aber doch kommen immer wieder Männer und Frauen vorbei und müssen auch mal eine Minute warten, bis sie dran sind. Das Buch ist zu finden in dem extra dafür hergerichteten Raum »an der blauen Wand«. Gewöhnlich informieren dort der Regierungschef oder seine Minister nach Kabinettssitzungen die Presse und den Rundfunk. Auf dem Tisch brennt eine große Kerze und es steht dort ein Porträt von Manfred Stolpe. Die Flaggen Brandenburgs, Deutschlands und der EU sind mit Trauerflor versehen.

Ins Kondolenzbuch eingetragen hat sich Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). »Manfred Stolpe war mit Leib und Seele Brandenburger und in seiner Heimatstadt Potsdam fest verwurzelt«, hebt Schubert hervor. »Die Stadt verliert mit ihm auch eine Stimme, die in den Konflikten der Stadtgestaltung gehört wurde und die immer dazu aufgefordert hat, im Gespräch miteinander nach Lösungen zu suchen, statt im Streit zu verharren.« Einerseits hatte sich Stolpe für den umstrittenen Wiederaufbau der barocken Garnisonkirche engagiert, andererseits gegen den zeitweise geplanten Abriss des in der DDR errichteten Restaurants »Minsk« ausgesprochen. In Ostdeutschland ging es in den 1990er Jahren teilweise zu wie einst im wilden Westen. Schubert sagt, Stolpe habe sich selbst augenzwinkernd den »Häuptling der Streusandbüchse« genannt. Streusandbüchse, so wird die Mark Brandenburg oft bezeichnet.

Ihr Beileid bekundeten nicht allein Sozialdemokraten, sondern beispielsweise auch CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Bei Bündnis 90/Die Grünen waren es alle, die im Bundesland Rang und Namen haben: Sozialministerin Ursula Nonnemacher, Umweltminister Axel Vogel, Landtagsfraktionschefin Petra Budke und auch die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock. »Wir verdanken ihm nicht zuletzt das Bündnis ›Tolerantes Brandenburg‹ - damals wie heute mehr als notwendig«, hatte Baerbock auf die Nachricht von Stolpes Tod reagiert. 1997 war das Bündnis gegründet worden. Damit hatte Brandenburg früher als andere ostdeutsche Länder sein Problem mit Neonazis eingestanden und Maßnahmen ergriffen. Am 30. Dezember ist nun auch Dirk Wilking gestorben, im Alter von 62 Jahren - »ein prägendes Gesicht des ›Toleranten Brandenburg‹, wie die Staatskanzlei mitteilte.

In mancher Hinsicht lag Stolpe mit den Bündnisgrünen über Kreuz, obwohl er zunächst gemeinsame Sache mit ihnen machte. Als er 1990 Ministerpräsident wurde, hatte er zwei Minister von Bündnis 90 in seinem ersten Kabinett: Bildungsministerin Marianne Birthler, die 1992 bei Bekanntwerden von Stasi-Verstrickungen Stolpes zurücktrat, sowie Umweltminister Matthias Platzeck, der dem Regierungschef in dieser Situation die Treue hielt, später in die SPD eintrat und 2002 Nachfolger des Ministerpräsidenten wurde.

Auf Braunkohletagebaue in der Lausitz wollte Stolpe wegen der Arbeitsplätze nicht verzichten. Er versprach aber, Horno werde das letzte Dorf in Brandenburg sein, das abgebaggert wird. Die Diskussion drehte sich in den 90er Jahren noch nicht um den Klimawandel, sondern um die Zerstörung der Landschaft und den Verlust der Heimat. Das Schicksal Hornos drohte anders als zugesichert dann noch Proschim, Grabko, Atterwasch und Kerkwitz. Erst jetzt, da die Grünen wieder in der Landesregierung vertreten sind, scheint sich das erledigt zu haben.

Das Kondolenzbuch in der Staatskanzlei ist von 10 bis 18 Uhr zugänglich, an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 16 Uhr.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.