Unerträgliche Zustände

Basismitglieder der AWO in Hessen fordern Neuanfang mit unbelastetem Personal

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Betroffen sind die AWO-Kreisverbände Frankfurt am Main und Wiesbaden. Die Rede ist von extrem überhöhten Managergehältern, luxuriösen Dienstwagen, lukrativen Nebeneinkünften aus Beraterverträgen und einem Gestrüpp von Subunternehmen. Basismitglieder in den Ortsvereinen sind fassungslos und fordern einen Neuanfang mit unbelastetem Personal. Auch die aus Berlin eingeflogene AWO-Bundesspitze sprach von »unerträglichen Zuständen« sowie einer »in dieser Fülle und Konzentration einmaligen Affäre« und ging auf Distanz zu den Beschuldigten. Die Vorwürfe seien »größtenteils berechtigt«, so der Wiesbadener Ex-Kreisvorsitzende Wolfgang Stasche.

»Wir machen weiter« ist das Motto eines Imagefilms, mit dem sich die AWO zum Engagement für Benachteiligte, Ausgegrenzte, Entrechtete, Behinderte, Geflüchtete und Schutzsuchende bekennt. Ende 1919 hatte Marie Juchacz, SPD-Abgeordnete in der Nationalversammlung, gemäß Beschluss des SPD-Vorstands den »Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt« gegründet. Kerngedanken waren helfende Solidarität von Arbeitern, Überwindung sozialer Not und die Durchsetzung sozialer Rechtsansprüche. Während die SPD keine Revolution wollte, sollte die arbeitende Bevölkerung wenigstens mit modernen Fürsorgegesetzen, progressiver Sozialarbeit und Selbsthilfe einen festen Rang im Sozialstaat einnehmen und die Welt schrittweise ändern.

Aus der AWO der 1920er Jahre ist ein dezentral organisierter Wohlfahrtskonzern mit 210 000 Hauptamtlichen in Kitas, Seniorenheimen, Beratungszentren für Migranten und anderen Einrichtungen geworden. Ohne üppige öffentliche Gelder wären Einrichtungen der AWO wie auch aller anderen privaten Träger nicht zu betreiben. Neben hauptamtlichen Strukturen finden 330 000 ehrenamtliche Mitglieder in Ortsvereinen Nestwärme und das Gefühl, einer guten Sache zu dienen. Doch das Vertrauen in die eigene Führung sank bei den AWO-Mitgliedern in Frankfurt und Wiesbaden auf null, als sie von Zuständen im eigenen Verband erfuhren, wie sie in der bürgerlichen Welt gang und gäbe sind. Die Kontrollmechanismen hatten versagt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, und die Gemeinnützigkeit der AWO-Kreisverbände steht auf dem Spiel.

Im Mittelpunkt des Geflechts steht das Wiesbadener Ehepaar Richter. Jürgen Richter, der einst als »Stamokap-Juso« eine radikale Systemveränderung gefordert hatte, war jahrelang hauptamtlicher Geschäftsführer der Frankfurter AWO und zeitgleich ehrenamtlicher Vizechef in Wiesbaden. Hannelore Richter fungierte lange als hauptamtliche Geschäftsführerin in Wiesbaden und fand Zeit und Muße, um als »Sonderbeauftragte« für die Frankfurter AWO zu wirken. Dafür soll sie ein gesondertes Honorar von bis zu 140 000 Euro im Jahr bezogen haben. Die Richters, inzwischen zurückgetreten, sollen den Kreisverbänden jeweils »Gehaltskosten« von über 340 000 Euro pro Jahr verursacht haben.

Stets war man um gute Kontakte zur Lokalpolitik bemüht, die Aufträge vergab. So standen Wiesbadens Sozialdezernent Christoph Manjura und Frankfurts OB Peter Feldmann (beide SPD) bei der AWO in Lohn und Brot. Feldmann geriet unter Druck, weil seine Ehefrau dem Vernehmen nach einst als Chefin einer AWO-Kita ein überhöhtes Gehalt samt Dienstwagen hatte.

»All dies ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die in AWO-Einrichtungen wertvolle soziale Arbeit leisten oder sich ehrenamtlich engagieren«, so Wiesbadenens LINKE. »Frankfurts AWO muss zurück in die Hände derjenigen, zu deren Wohl sie einst gegründet wurde«, fordert Bundestagsabgeordneter Achim Kessler (LINKE).

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