- Politik
- Connewitz
Randale befeuert Leipziger Wahlkampf
Nach den Ausschreitungen zu Silvester in Connewitz werden kritische Fragen zum Verhalten der Polizei laut
Leipzig ist vier Wochen vor der Oberbürgermeisterwahl am 2. Februar mit Plakaten der Kandidaten übersät. Eine Großfläche, die für CDU-Bewerber Sebastian Gemkow wirbt, zeigt Sachsens bisherigen Justiz- und nunmehrigen Wissenschaftsminister mit einer Polizeibeamtin. Der Slogan dazu: »Einer, der dafür sorgt: Sicheres Leipzig.«
Die Frage, ob eine zur politischen Neutralität gehaltene Institution wie die Polizei in einem Wahlkampf Partei ergreifen sollte, stellt sich ohnehin; in Leipzig indes um so dringlicher, weil Vorfälle in der jüngsten Silvesternacht, bei denen die Polizei ein maßgeblicher Akteur war, dem von der CDU für den Wahlkampf in Leipzig gesetzten Thema einen enormen Schub versetzt haben. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen im alternativen Szeneviertel Connewitz, bei denen neben anderen auch ein 38 Jahre alter Polizeibeamter schwerer verletzt wurde, wird weit über Sachsen hinaus über linksextreme Gewalt gestritten. Sachsens CDU-Regierungschef Michael Kretschmer sprach von »linkem Terror«; Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) von »menschenverachtender Gewalt«, die gegen Polizisten verübt worden sei.
Jedoch wird mittlerweile auch das Agieren der Polizei in der Silvesternacht kritisch hinterfragt. SPD-Bundesvorsitzende Saskia Eskens stellt die Frage, ob »die Einsatztaktik angemessen« gewesen sei. Sollte eine falsche Linie die Polizisten »unnötig in Gefahr gebracht haben«, trage Sachsens Innenminister - der CDU-Politiker Roland Wöller - die Verantwortung. Ulla Jelpke, Innenexpertin der LINKEN im Bundestag, attestierte der Polizei eine »gehörige Portion Mitverantwortung«. Die »regelrechte Belagerung« des Stadtteils habe »das Gegenteil von Deeskalation« bewirkt. »Ein Weniger an Polizei hätte in dieser Silvesternacht zu einem Mehr an Sicherheit geführt.«
Ähnlich hatte sich zuvor ihre Leipziger Parteifreundin Jule Nagel, Abgeordnete in Landtag und Stadtrat, geäußert; sie wurde dafür in sozialen Netzwerken massiv angefeindet. Gleiches gilt für einen Kritiker, der Leipzigs Polizeichef Torsten Schultze noch in der Silvesternacht vorgeworfen hatte, Beamte zu »verheizen«. Die Polizei erwiderte mit dessen namentlicher Erwähnung in einer Pressemitteilung. Am Freitag wies Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar beim Besuch zu Silvester eingesetzter Einheiten Vorwürfe zur Taktik zurück. Die Polizei sei »zurückhaltend und deeskalierend unterwegs« gewesen und habe »nicht provoziert«.
Unter Druck steht die Polizei auch wegen der Informationspolitik in der Silvesternacht, die für die bundesweite Wahrnehmung der Vorfälle den Ton setzte. So wurde in einer 4:42 Uhr verbreiteten Pressemitteilung erklärt, ein Beamter sei so schwer verletzt worden, dass er »notoperiert« werden musste. Recherchen der »taz« zufolge handelte es sich um einen Eingriff an der Ohrmuschel, der mit lokaler Betäubung durchgeführt wurde. Das Landeskriminalamt (LKA) erklärte später, ein Beamter sei »zur Behandlung« im Uniklinikum »stationär aufgenommen« worden. Auch die anfangs verbreitete Darstellung, wonach ein als Polizeifahrzeug dekorierter und brennender Einkaufskorb »mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei« geschoben worden sei, wurde vom LKA relativiert: Der Wagen sei »in Richtung der Polizeibeamten« bewegt worden. Kretzschmar verwahrte sich aber gegen Vorwürfe der unkorrekten Darstellung; die Polizei würde »nie Falschinformationen verbreiten«.
Jenseits der Frage, wie die Polizei in Connewitz hätte agieren sollen, ist unstrittig, dass Beamte dort teils brachial attackiert wurden. Die »Leipziger Internet-Zeitung« beschreibt Szenen aus einem Video, wonach Vermummte Polizisten in den Rücken sprangen, sie umtraten, Raketen in ihre Richtung abfeuerten und auch noch auf einen von ihnen eintraten, als er ohne Helm am Boden lag. Die Staatsanwaltschaft ermittelt laut LKA wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.