Mehr Angriffe auf Moscheen

Muslimische Organisationen fordern Polizeischutz, der Heimatminister wiegelt ab

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die Besucher der Al-Rahman-Moschee bot das neue Jahr keinen Grund zum Feiern. Unbekannte hatten in der Silvesternacht Scheiben der Moschee im nordrhein-westfälischen Wesel eingeschlagen. Im Hof fand die Polizei später neben Gasflaschen Utensilien zum Bau eines Brandsatzes. Das islamische Kulturzentrum war offenbar nur knapp einem Anschlag entgangen.

Angriffe wie dieser waren auch 2019 Alltag in Deutschland. 110 solcher Vorfälle hat die Initiative »Brandeilig« für das vergangene Jahr dokumentiert. Durchschnittlich zweimal pro Woche wurden muslimische Einrichtungen zum Ziel. Das war mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Erfassung 2014.

Die Übergriffe, die das Projekt des Kölner Antidiskriminierungsverbands FAIR auflistet, reichen von verbalen Einschüchterungen und schriftlichen Morddrohungen über rassistische Graffiti und abgetrennte Schweineköpfe bis hin zu Brandanschlägen. Dabei stützt sich die Initiative nicht nur auf Behördenangaben und Presseberichte, sondern erhält ihre Informationen auch von betroffenen Moscheevereinen.

Wer sich durch die Auflistung auf der Website brandeilig.org klickt, bekommt einen Eindruck davon, welchen Bedrohungen muslimisches Gemeindeleben in Deutschland ausgesetzt ist: 9. Januar: Angriff auf eine Moschee in Coesfeld. 10. Januar: Angriff auf eine Moschee in Baden-Baden. 13. Januar: Volksverhetzung gegen Moscheevertreter in Bergkamen und Kamp-Lintfort. 26. Januar: eingeschlagene Scheiben in Menden. 27. Januar: Bombendrohung gegen eine Moschee in Mülheim. So geht es das ganze Jahr.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die islamfeindliche Gewalt im Juni vergangenen Jahres. In diesem Monat gab es mit 24 Vorfällen fast einen täglich. Innerhalb weniger Tage gingen Bombendrohungen an Moscheen in Köln, Iserlohn, München, Duisburg, Villingen-Schwenningen, Mainz und Mannheim. In Bad Homburg, Minden und Köln wurden die Räume islamischer Einrichtungen verwüstet. In den Moscheen von Münster und Schleswig zerrissen Unbekannte Korane.

Die Macher von brandeilig.org gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl deutlich höher sein dürfte. Doch in der offiziellen Statistik taucht nicht einmal die Hälfte der dokumentieren Fälle auf: Für das Jahr 2018 etwa zählt brandeilig.org 99 Angriffe auf Moscheen, während das Bundesinnenministerium in seiner Zählung nur auf 48 kommt. Ein Grund für die niedrige Zahl ist, dass Betroffene häufig davon absehen, Strafanzeige zu erstatten. Daneben machen Vertreter islamischer Organisationen für die niedrige Zahl auch ein allgemeines politisches Desinteresse an islamfeindlichen Straftaten verantwortlich. Jahrelang hatte sich die Bundesregierung geweigert, islamfeindliche Straftaten in der polizeilichen Kriminalstatistik überhaupt gesondert zu erfassen, wie es etwa bei antisemitisch motivierten Taten schon lange der Fall ist. Erst nach Jahren der Kritik von Opferschutzorganisationen und islamischen Verbänden wurde im Jahr 2017 der Kategorie »politisch motivierte Kriminalität« die Unterkategorie »islamfeindlich« hinzugefügt.

Als Anfang des Jahres nach dem Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, Polizeischutz für deutsche Moscheen forderte, wiegelte Horst Seehofer (CSU) ab. »Auch religiöse Einrichtungen können Ziele von Terroristen sein. Wenn es Anhaltspunkte für Gefahren gibt, wird der Schutz verstärkt«, lautete damals die Antwort des Heimatministers. Getan hat sich seitdem nichts.

Auch als sich Anfang Dezember die Innenminister der Länder trafen, um Maßnahmen zum Wohle der inneren Sicherheit in Deutschland zu beschließen, waren islamfeindliche Straftaten kein Thema. Maßnahmen zum Schutz muslimischen Gemeindelebens fanden sich auf der 49 Seiten langen Beschlussliste der Innenministerkonferenz keine.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -