- Berlin
- Neue Gesellschaft für bildende Kunst
Die Zukunft steht auf dem Spiel
Die Finanzierung der seit 1968 basisdemokratisch organisierten »neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK)« in Berlin ist vorerst nur für 2020 gesichert.
Wenn in Berlin eine Miniaturstadt errichtet wird, dann gehört auch ein Laden dazu, der alles verkauft, was man so braucht. An einer der Holzbuden, die in der Galerie der »neuen Gesellschaft für bildende Kunst« (nGbK) in der Berliner Oranienstraße aufgebaut sind, prangt ein Schild mit der Aufschrift »SPÄTI«. Es gibt auch einen Copyshop mit Kopierer und Stiften und ein Hotel mit moderaten Preisen. »1 Nacht = 10 Euro«, preist ein handgemaltes Schild an. Gegenüber findet sich eine Bude mit der Aufschrift »Amt«, in der eine einsame Topfpflanze neben Bildern von Aktenordnern steht. Stempel mit Tiermotiven scheinen auf die Bewilligung des nächsten Antrags zu warten.
Bevor die Ausstellung am Nachmittag für die Öffentlichkeit zugänglich ist, steht der symbolische Nachbau der Berliner Oranienstraße Schulklassen zur Verfügung. Angelehnt ist der »Spielclub Oranienstraße 25« an ein historisches Vorbild: den »Spielklub Kulmer Straße«. 1969 bis 1972 wollte die Arbeitsgruppe »Spielumwelt« der nGbK eine kapitalismuskritische, künstlerische Praxisform für und mit Kindern der Arbeiterklasse entwickeln. Um das umzusetzen, mietete die Gruppe eine Fabriketage in Berlin-Schöneberg, wo Künstler*innen und Kinder aus dem Kiez eine Spielstadt aufbauten.
Interessant ist die Ausstellung auch in Hinblick auf die aktuelle Situation des Berliner Kunstvereins. Denn sie zeigt, was für eine lange Geschichte die nGbK und ihre basisdemokratische Organisationsform, ihre künstlerischen und sozialpolitischen Debatten haben. Gleichzeitig geht es in Workshops um aktuelle Themen wie die Mietenpolitik.
Unklar ist, wie lange der 1969 gegründete Verein solche Projekte noch realisieren kann. Im Dezember wurde klar, dass die Finanzierung des Vereins nicht wie erhofft in den Landeshaushalt 2020/21 aufgenommen wird. Die nGbK warnte in einem offenen Brief, dass sie in ihrer Existenz bedroht sei, und bat um kulturpolitische Unterstützung. Inzwischen gibt es eine vorläufige Entwarnung. Die Lotto-Stiftung Berlin habe nun entschieden, den Verein 2020 weiter zu fördern, berichtet Ingo Arend, Präsidiumsmitglied der nGbK. Seit 1990 unterstütze die Stiftung den Verein mit 750 000 Euro pro Jahr. Mit dieser Summe könne man weiterarbeiten, sagt Ingo Arend. »Die Zukunft ist aber unsicher.« Das hat verschiedene Gründe. Zum einen spricht der Verein von einem Fehlbedarf von 210 000 Euro. Dieses Geld sei unter anderem nötig, um Gehälter anzupassen, mit gestiegenen Preisen mitzuhalten und das Satelliten-Projekt in Marzahn-Hellersdorf weiter zu finanzieren. Seit 2014 engagiert sich der Verein an der Berliner Peripherie und betreibt mit der »station urbaner kulturen« einen Veranstaltungs- und Ausstellungsraum, in dem Künstler*innen und Anwohner*innen gemeinsam arbeiten. So entstand beispielsweise ein Rechercheprojekt zu Veränderungen und Zukunftsvisionen im Viertel.
Der Bezirk habe großes Interesse an dem soziokulturellen Projekt, sagt Ingo Arend - doch auch ihm fehle es an Geld. Deswegen liegen die Pläne der nGbK derzeit auf Eis. Der Verein versuche, die notwendigen Mittel zusammenzukratzen, um den Raum zu halten. Aber eine neue Projektgruppe, die ihn bespielt, gebe es derzeit nicht.
Unsicher ist auch die Situation in der Kreuzberger Oranienstraße. Das Gebäude wurde von der Berggruen-Holding an eine Luxemburger Immobiliengesellschaft verkauft, berichtet Arend. Der Mietvertrag des Vereins ende 2022. »Wir haben noch keinerlei Kontakt zu dem neuen Vermieter«, sagt Arend, der befürchtet, die unsichere finanzielle Situation des Vereins könne die Verhandlungssituation gegenüber dem neuen Eigentümer schwächen.
Auch intern gibt es Änderungen: nGbK-Geschäftsführerin Lilian Engelmann wechselt in die Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Mitte Januar finden Bewerbungsgespräche für ihre Nachfolge statt.
Fest steht: Die Lotto-Stiftung wird ab 2022 kein Geld mehr geben, berichtet Ingo Arend. Wie es dann weitergeht, ist unklar. Der Verein hatte die kulturpolitischen Signale schon im vergangenen Jahr so gedeutet, als ob die Finanzierung in den Landeshaushalt aufgenommen werden würde. »Es gibt den erklärten Willen, die nGbK zu fördern. Sie ist schon ein Player in der Berliner Kulturlandschaft«, sagt Arend. Aus der Pressestelle der Senatsverwaltung für Kultur heißt es dazu knapp: »In den Haushaltsverhandlungen konnte die Senatsverwaltung für Kultur und Europa ihre Vorstellung zur Förderung in Höhe von zwei Millionen Euro nicht durchsetzen.« Wie es bei den nächsten Haushaltsverhandlungen aussieht, kann niemand voraussehen - zumal 2021 ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird.
Seitens der nGbK herrscht Unverständnis dafür, dass das Land nicht eingesprungen ist. »Es ist nicht so, dass die nGbK nur eine linke Traditionsnummer ist. Wir haben in den letzten Jahren einiges auf die Beine gestellt, um zu zeigen, dass sich der Verein weiterentwickelt«, betont Arend.
Das betrifft beispielsweise Projekte im Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung. Für 2020 ist eine Workshop-Reihe mit queeren Künstler*innen und Kunstpädagog*innen geplant. Über ein Stipendium der Senatsverwaltung für Kultur organisiert die nGbK gemeinsam mit dem ZK/U - Zentrum für Kunst und Urbanistik in Berlin sowie dem DEPO in Istanbul ein jährliches Stipendium für Künstlerinnen und Künstler, die in Istanbul leben. Eine Projektgruppe nimmt in diesem Jahr mit einem Forschungsprojekt die Verarbeitung der gesellschaftlichen Umbrüche in Deutschland ab 1990 in den Blick.
Der Verein funktioniert basisdemokratisch. Jeder, der möchte, kann sich mit einem eigenen Projekt bewerben. Voraussetzung ist, dass es sich um Gruppen mit mindestens fünf Mitgliedern handelt, die beispielsweise in kunstwissenschaftlichem, soziologischem oder politisch-aktivistischem Kontext unterwegs sind. Von den mehr als 900 Vereinsmitgliedern nehmen normalerweise etwa 150 an der Hauptversammlung teil, die die neuen Projekte auswählt.
Durch den basisdemokratischen Ansatz würden auch Menschen ermutigt, die sich sonst im Kunstbetrieb keine Chancen ausrechnen, sagt Ingo Arend. Ein bekanntes Projekt, das aus der nGbK hervorgegangen ist, sind die Stolpersteinverlegungen des Künstlers Gunter Demnig.
Bei den Projekten geht es um gesellschaftlich relevante Themen und Debatten - auch beim Spielclub Oranienstraße 25. Im hinteren Teil der Ausstellung wird in Text und Bild die Geschichte des historischen Vorbilds erzählt. Vor dieser Kulisse sitzen Workshop-Teilnehmende auf kleinen Hockern und diskutieren über heutige Erfahrungen mit Spielstädten. Was dabei entsteht, ist unterschiedlich - und entspricht nicht immer den idealistischen Vorstellungen der Erwachsenen. Ein Workshop-Teilnehmer berichtet beispielsweise von Kindern, die eine Monarchie etablierten. Bis zum 19. Januar gibt es in der Oranienstraße 25 noch die Möglichkeit, eigene Luftschlösser zu bauen. Ob an diesem Ort auch in ein paar Jahren noch an künstlerischen und gesellschaftlichen Zukunftsvisionen gesponnen wird, bleibt abzuwarten.
»Spielclub Oranienstraße 25 - ein bespielbares Stadtmodell mit Ausstellung«, bis 19. Januar, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Oranienstraße 25, Berlin.
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