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Jetzt muss es schnell gehen
Zwischen der EU und Großbritannien stehen wichtige Entscheidungen noch aus
»Friede, Wohlstand und Freundschaft mit allen Nationen«, steht auf der neuen 50-Pence-Münze, die die britische Regierung zur Feier des EU-Austritts herausgegeben hat. Nach den gehässigen und polarisierenden Debatten der vergangenen drei Jahre gibt sich die britische Regierung nunmehr versöhnlich.
Die frisch geprägte Münze mag eines jener leicht lächerlichen Symbole sein, für die Brexit-Anhänger eine Schwäche haben. Aber der Regierung ist es wohl ernst gemeint - und insbesondere auf die Freundschaft mit den europäischen Nationen wird sie in den kommenden Monaten Wert legen: Es stehen schwierige Verhandlungen bevor.
Zunächst wird der Alltag in Großbritannien weitergehen wie bisher. Am 1. Februar ist das Land zwar nicht mehr Mitglied der Europäischen Union, aber an diesem Tag beginnt eine Übergangsphase, in der sich in praktischer Hinsicht nichts ändern wird. Die Personenfreizügigkeit gilt weiterhin, ebenso werden Handelsgüter und Dienstleistungen hindernisfrei die Grenzen überqueren können.
Diese Phase währt allerdings nur bis zum 31. Dezember. Dann muss die künftige Beziehung zwischen EU und Großbritannien geklärt sein, vor allem deren wichtigster Teil, das Freihandelsabkommen. EU-Vertreter schätzen, dass dieser Vertrag bis Ende November druckreif vorliegen muss, damit die Zeit für die Ratifizierung reicht - für die Aushandlung eines Freihandelsabkommens eine überaus knappe Frist. Wenn es nicht klappt, dann droht Großbritannien erneut das Szenario, ohne Vertrag aus der EU zu krachen: Der berüchtigte No-Deal wäre dann da.
Die Regierung gibt sich zwar zuversichtlich, dass die Verhandlungen ein Kinderspiel sein werden: »Wir werden bis Ende 2020 ein fantastisches neues Freihandelsabkommen mit der EU haben«, sagte Premierminister Boris Johnson während der Wahlkampagne Ende letzten Jahres. Aber es ist bereits absehbar, dass es knifflig werden dürfte. Zumal die zwei Parteien teilweise ganz andere Ziele haben.
»Das ist das Ende. Breakup, fertig.«
Jon Worth über die Sorgen von Briten im EU-Ausland, Labours Fehler und seinen Stinkefinger in Berlin
Großbritannien will seine genaue Verhandlungsposition Anfang Februar bekannt geben. Nach seinem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte Januar umriss Johnson jedoch schon einmal die grobe Strategie: London wünscht sich ein weitreichendes Freihandelsabkommen, das sowohl Waren als auch Dienstleistungen umfasst.
Aber London schließt aus, dass sich Großbritannien automatisch den Regeln der EU anpasst, um ein solches Arrangement zu erleichtern. Ein Regierungssprecher sagte kürzlich: »Der Premierminister hat ein klares Mandat, es steht im Wahlprogramm, das uns eine Mehrheit von achtzig Sitzen im Unterhaus bescherte, und es sagt schwarz auf weiß, dass es keine Angleichung geben wird.«
Dies ist jedoch für die EU ein Problem, wie der irische Premierminister Leo Varadkar warnte: Jegliche Abweichung von den Standards, die in der EU gelten, würde ein Abkommen deutlich erschweren, sagte er Anfang dieser Woche. Die Europäische Union will auf jeden Fall verhindern, dass Großbritannien die Regeln beim Arbeitsschutz, bei den Umweltauflagen und den staatlichen Subventionen aufweicht, um sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Auch die mangelnde Zeit setzt die beiden Gesprächsparteien unter Druck: EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte Anfang Januar, dass kaum Zeit bleibe für einen umfassenden, detaillierten Vertrag; mehr als ein rudimentäres Abkommen sei wahrscheinlich nicht drin - und dieses werde sich wohl auf den Güterhandel, die Wettbewerbsgleichheit, Fischerei und gemeinsame Sicherheit beschränken. Der Servicesektor, der weit mehr als die Hälfte der britischen Wirtschaft ausmacht, wäre unter Umständen davon ausgeschlossen.
Das grundlegende Problem für die britische Regierung ist, dass die Erwartungen bezüglich der Möglichkeiten, die der Brexit bietet, nur schwer umzusetzen sind. Weil der Zweck des EU-Austritts laut seinen Anhängern gerade darin besteht, dass Großbritannien nicht mehr den Vorschriften der EU unterliegt, wäre eine Angleichung an die EU-Regeln nur schwer zu rechtfertigen - aber je weiter sich Großbritannien vom EU-Markt entfernt, desto größer ist der potenzielle wirtschaftliche Schaden.
Besonders anfällig ist der Finanzsektor, der rund sieben Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht und fast 30 Milliarden Pfund zum Steueraufkommen beiträgt. Wenn der Finanzbranche plötzlich der Zugang zum EU-Binnenmarkt entzogen wird, hätte dies unabsehbare Folgen für dieses Kraftwerk der britischen Wirtschaft.
Unmittelbar könnte jedoch die Fischerei Probleme bereiten: Johnson besteht darauf, dass Großbritannien nach dem Brexit die Kontrolle über die britischen Gewässer haben wird. Diese besonders ergiebigen Fanggebiete sind jedoch wichtig für Fischer in den EU-Ländern, nicht zuletzt Frankreich. Das Staatenbündnis will jegliche Fortschritte bei den Handelsgesprächen davon abhängig machen, ob die Boote der EU-Mitgliedsländer weiterhin in diesen Gewässern auf Fischfang gehen können.
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