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Voll aufgeklärt drauf
Berlin kann beim Umgang mit Drogen einiges von Portugal lernen.
Wenn es um Drogenpolitik geht, schaut Berlin gerne über den Tellerrand. Viel lernen lässt sich dabei zum Beispiel von Portugal, dem »Wunderland in Sachen Drogenpolitik«. Zumindest wird es in hiesigen Diskussionen oft so dargestellt, findet Fabian Kunow vom Bildungs- und Kulturverein Helle Panke von der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Denn der Staat auf der Iberischen Halbinsel, in dem etwa zehn Millionen Menschen leben, ist bekannt für seinen liberalen Umgang mit Rauschmitteln. Um mehr über den portugiesischen Ansatz zu erfahren, hat der Verein den Lissaboner Drogenexperten Ricardo Fuertes am Mittwochabend zu einer Podiumsdiskussion im Kreuzberger Szeneladen »SO36« eingeladen. Fuertes war viele Jahre in Nichtregierungsorganisationen tätig, aktuell arbeitet er als drogenpolitischer Berater für den Lissaboner Bildungsstadtrat Manuel Grilo von der Partei »Linksblock«.
»Ich denke, es ist wichtig, zu verstehen, dass Drogengebrauch eine Geschichte und einen Kontext hat«, sagt Fuertes. In Portugal wurde der Rauschmittelkonsum, der nach der Nelkenrevolution 1974 drastisch angestiegen war, lange ignoriert - bis das in den 80er und 90er Jahren nicht mehr ging. Seinerzeit stieg die Zahl der HIV-Infektionen rapide an, weil die meisten Drogennutzer*innen sich ihren Stoff spritzten. »Das war die Realität in vielen Familien«, berichtet Fuertes. Zeitweise sollen etwa 100 000 Menschen heroinabhängig gewesen sein - also ein Prozent der Bevölkerung.
Um die Drogenepidemie einzudämmen, beschritt Portugal ab Anfang der 90er Jahre politisch neue Wege. Statt harter Sanktionen sollten Drogenkonsument*innen in erster Linie medizinische Hilfe erhalten. Zudem betraute die Regierung eine Kommission aus Psycholog*innen, Mediziner*innen und anderen Wissenschaftler*innen mit der Ausarbeitung einer nationalen Strategie. Die Forscher*innen kamen zu dem Schluss, mit einem ein pädagogischen, aufklärenden wäre das Problem am effektivsten in den Griff zu bekommen. »Die Gruppe formulierte eine Empfehlung, die zur nationalen Politik wurde«, erzählt Fuertes. Im Jahr 2000 wurde dann ein Gesetz verabschiedet, das laut dem Experten bis heute von allen Parteien unterstützt wird. Anstelle von Geld- oder Gefängnisstrafen setzt es auf Prävention, Behandlung und Entkriminalisierung. Drogenbesitz und -gebrauch gelten seitdem nur noch als Ordnungswidrigkeiten. Dabei darf der Substanzbesitz den Eigenbedarf für zehn Tage nicht übersteigen. Der sei recht willkürlich festgelegt, berichtet Fuertes mit Verweis auf die erlaubten 25 Gramm Marihuana, was beim Publikum für rege Heiterkeit sorgt.
Da Prävention und Behandlung die Kernanliegen des Ansatzes sind, meldet die Polizei Drogendelikte an eine Kommission, die es in allen 18 Regionen des Landes gibt. Dort arbeiten Rechts- und Gesundheitsexpert*innen sowie Sozialarbeiter*innen. Sie entscheiden, was mit den Drogennutzer*innen geschieht, wobei Aufklärung und Hilfe im Vordergrund stehen. Sanktionen dienten lediglich als eine Art Ultima Ratio, erklärt Fuertes. Anders sieht das bei Dealer*innen aus: »Wenn etwas als Drogenhandel ausgelegt wird, gibt es auch Gefängnisstrafen.«
Diese Politik hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. »Die drogeninduzierten HIV-Infektionen sind stark gesunken«, berichtet der drogenpolitische Berater, ebenso wie die Zahl der Drogentoten. Heute rangiert Portugal im europäischen Vergleich auf den letzten Plätzen, was die Anzahl an Konsument*innen betrifft. Und auch die Gerichte und Gefängnisse seien entlastet worden, so Fuertes.
Astrid Leicht vom Drogenhilfeverein Fixpunkt sieht in dem portugiesischen Weg zwar viel Gutes , doch der Ansatz geht ihr nicht weit genug. Schließlich sind Drogen nach wie vor illegal, die Polizei konfisziert den Stoff: »Der erste Effekt für den Konsumenten ist der gleiche wie jetzt«, meint sie. Bei den anderen Diskussionsteilnehmer*innen gibt es gemischte Reaktionen: Heike Drees, Drogenexpertin vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin, moniert: »Da ist ganz schön viel Kontrolle für die Konsumenten mit verbunden, deswegen ist das für mich ein konservativer Weg.«
Diese Vorbehalte teilt Niklas Schrader, drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, ebenfalls. Nichtsdestotrotz sagt er: »In Deutschland wäre das ein Riesenfortschritt.« Schließlich säßen alleine in Berlin mehrere Hundert Menschen wegen Drogendelikten im Gefängnis, wo ihnen mit ihren Suchtproblemen kaum geholfen werde. »Da bewegt sich politisch sehr wenig.« In der Drogenhilfe und der Wissenschaft sei man da schon viel weiter. »Ich finde, wir müssen auch über die kontrollierte Abgabe von harten Drogen reden«, fordert Schrader. Straffreie Ausnahmen nach dem portugiesischen Vorbild wären in seinen Augen zumindest ein Anfang. In Berlin gibt es die nämlich bislang nur für Cannabis, während andere Bundesländer auch Eigenbedarfsmengen für härtere Drogen definiert haben.
Doch auch in der Hauptstadt gibt es durchaus Ansätze für eine liberalere Drogenpolitik. So plant die rot-rot-grüne Koalition ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt zum kontrollierten Verkauf von Cannabis. Das Geld für die Durchführung stehe im Haushalt bereit, berichtet Schrader, allerdings warte man noch auf grünes Licht vom Bund. Generell sei es meist »ein richtig harter Kampf«, wenn Bundes- und Landesrecht sich wie hier in die Quere kämen.
»Es ist immer noch so, dass das Damoklesschwert Bundesregierung über dem Land Berlin hängt«, findet auch Astrid Leicht. Sie berichtet vom Drugchecking, das nach langer Planung bald in Berlin anlaufen soll. An drei Standorten können Drogennutzer*innen ihre Substanzen dann auf Reinheit überprüfen lassen - doch ein mobiles Labor, etwa in der Nähe von Clubs, werde es erst mal nicht geben, so Leicht.
In Lissabon hat vor wenigen Monaten die erste Drugchecking-Station eröffnet. Dennoch ist auch in Portugal noch Luft nach oben. So beneidet Fuertes seine deutschen Kolleg*innen beispielsweise um ihre Konsumräume. Diese Angebote, in denen Drogenabhängige geschützt und sicher konsumieren können, existieren hierzulande teils schon seit Jahrzehnten. In Portugal sind sie allerdings ein Novum - der erste wurde 2019 in Lissabon eröffnet. »Ich glaube, beide Länder können voneinander lernen«, sagt Fuertes. Denn auch in Portugal gebe es noch viel zu tun.
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