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Fahrt in die Geschichtsbücher
Mit Thomas Dreßen siegt erstmals seit 28 Jahren ein Deutscher beim Kandahar-Rennen
Erfolge verpflichten, manchmal jedenfalls. Und wenn sie nur ein paar Kilometer vom Elternhaus entfernt passieren sowieso. Um eine Feier, das ahnte Thomas Dreßen nachdem er am Samstag Trophäe und Siegprämie für seinen zweiten Weltcuptriumph in dieser Saison entgegengenommen hatte, würde er nicht umhinkommen. Alle waren nach Garmisch-Partenkirchen gekommen. Die Mutter, die Oma, der Bruder, die ganze Familie, und dann natürlich die Freunde von früher aus Mittenwald. »Viel zu viele« seien da. »Das wird noch richtig teuer für mich«, sagte er und ließ keinen Zweifel daran, dass er gerne ein paar Lokalrunden am Abend spendiert.
Davor hatte er bei der Siegerehrung sogar ein paar Tränchen verdrückt. »Es war immer ein Traum, dass ich da mal gewinne. Dass das da heuer schon funktioniert ist natürlich der Wahnsinn«, gab er zu. Dreßen hätte sich kaum einen besseren Ort aussuchen können für seinen nächsten Coup. Auf der Kandaharstrecke, beim einzige Heimrennen für die deutschen Männer, dort, wo es den letzten - und bis Sonnabend einzigen - deutschen Abfahrtssieg vor 28 Jahren gegeben hatte. Dreßen war bei Markus Wasmeiers Triumph 1992 noch nicht einmal geboren. Dass der Schlierseer trotzdem sein großes Vorbild wurde, ist angesichts der übersichtlichen Anzahl von deutschen Weltklasse-Schnellfahrern aber keine Überraschung. Die beiden kennen sich seit viele Jahren, Dreßen stand mit Wasmeiers Söhnen in den Nachwuchskadern. Als er sich im November 2018 einen Totalschaden im Knie zuzog und operiert werden musste, besuchte ihn Wasmeier im Krankenhaus. Jetzt hat Dreßen vier Siege in der schnellsten Disziplin, doppelt so viele wie sein Idol. »Er löst mich in allen Dingen ab«, sagte Wasmeier, als er neben Dreßen bei der Pressekonferenz stand. Jetzt fehle nur noch Wengen im Weltcup und »Olympia kommt dann auch noch«. WM-Gold hat Doppel-Olympia-Sieger Wasmeier seinem Nachfolger ebenfalls noch voraus.
Für den Teamkollegen Josef Ferstl steht es außer Frage, dass Dreßen nicht nur »der Mann des Tages« am Sonnabend war, sondern vor allem »der Mann der Zukunft« ist. Bewusst hatte sich der 26-Jährige bei der Startnummernauslosung für die »1« entschieden, ein hohes Risiko, wie Alpinchef Wolfgang Maier fand, weil der Athlet sich alleine auf die Eindrücke aus dem einzigen Training am Tag zuvor und der Besichtigung am Morgen verlassen muss. Obendrein hatte sich die Piste nach Schneefall und Regen ständig verändert. »Da muss ich den Hut ziehen, ich hätte es mir nicht getraut«, gab Maier zu. Aber Dreßen hatte längst einen klaren Plan - und ahnte, wo der Schlüssel zum Sieg liegen würde. Beim Training habe er sich den Lauf des Amerikaners Travis Ganong im letzten Abschnitt angeschaut, erzählte er, und »gesehen, dass er eng aus der Ausfahrt Hölle rauskommt. Da habe ich mir das auch vorgenommen« und perfekt umgesetzt. Nur wenige Athleten wählten eine ähnliche Linie wie Aleksander Aamodt Kilde aus Norwegen, aber der war nach einem Fehler weiter oben schon mit zu großem Rückstand zum entscheiden Streckenabschnitt gekommen. Bei ihm sei die Piste noch ruhiger gewesen, sagte er. »Ja, ich glaube, die Nummer eins war eine gute Wahl.«
In der Woche davor hatte Dreßen ein wenig Lehrgeld bezahlt. Kitzbühel, gibt er zu, »war ein Schuss in den Ofen«. Er hatte sich wohl ein bisschen anstecken lassen vom Hype. »Normalerweise bin ich der Typ, der vor dem Rennen noch so a bissel a Gaudi macht und rumflachst und blöd redet, und in Kitzbühel war das alles a bissel zu streng.« Dreßen erkannte nach dem 26. Platz, dass es nichts bringt, etwas ganz besonders gut machen zu wollen. Beim Heimrennen habe er gespürt, »die ganze Körpersprache war wieder lockerer«.
Rund 10 000 Zuschauern feierten ihn im Tal. »Wenn man mit der Nummer eins ins Ziel kommt, führt man ja logischerweise, aber dass die Leute trotzdem so abgehen, ist Wahnsinn«, fand Dreßen. Seine perfekte Linienwahl hatte dafür gesorgt, dass die Stimmung an der Kandaharstrecke bis zur Siegerehrung bestens blieb.
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