Zahlreiche Einzelfälle

Studie zu Einstellungen unter hessischen Polizisten: Mehr als jeder vierte Beamte fürchtet sich vor »Islamisierung«

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Sommer 2018 erhielt die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz ein Fax. In dem Schreiben drohten Unbekannte, die Tochter der Juristin »zu schlachten«. Basay-Yildiz vertrat in München die Hinterbliebenen des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek. Unterschrieben war der Drohbrief mit »NSU 2.0«. Vier Monate später erfuhr die Öffentlichkeit, dass vom 1. Polizeirevier in der Frankfurter Innenstadt aus jemand persönliche Daten über die Rechtsanwältin aus dem behördlichen Melderegister abgerufen hatte. Bei der Hausdurchsuchung der eingeloggten Beamtin stießen die Ermittler auf eine Chatgruppe, in der rassistische Inhalte ausgetauscht wurden. Ein Bild soll laut Medienberichten Adolf Hitler vor einem rauchenden Schornstein gezeigt haben. Daneben der Satz: »Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude.« Nicht nur in Hessen fragte man sich, wie weit verbreitet extrem rechte Einstellungen unter Polizisten sind - und in welchem Ausmaß rassistische Netzwerke in den Behörden bestehen.

Eine Studie versuchte nun etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Die Beamten der hessischen Polizei haben laut den ersten bekannten Ergebnissen eine Selbstwahrnehmung, die sich von der öffentlichen Kritik zumindest stark unterscheidet. Politisch sehen sie sich selbst demnach mehrheitlich in der Mitte angesiedelt. Mit 64,4 Prozent verorten sich nach der am Montag von Landesinnenminister Peter Beuth (CDU) und Polizeipräsident Udo Münch vorgestellten Studie fast zwei Drittel in der Mitte.

Knapp 19 Prozent sehen sich als »mäßig rechts«, 13 Prozent als »mäßig links«. Als »rechts« bezeichnen sich 1,6 Prozent der hessischen Polizisten und weitere 0,1 Prozent als »ausgeprägt rechts«. »Links« sehen sich zwei Prozent, 0,2 Prozent »ausgeprägt links«.

Mit 97 Prozent der Befragten halten die Beamten die parlamentarische Demokratie »eher« oder »voll und ganz« für die beste Staatsform. Zeitgleich stimmte mit 27,6 Prozent mehr als jeder vierte Beamte der Aussage zu, dass die »Gefahr, dass Deutschland islamisches Land wird«, bestehe. Demgegenüber stimmten 66,1 Prozent der Aussage zu, Einwanderer machten das Land bunter oder vielfältiger.

Von insgesamt rund 17 000 Vollzugs- und Verwaltungsbeamten sowie Tarifbeschäftigten der hessischen Polizei hatten sich den Angaben zufolge 4277 Männer und Frauen an der Umfrage beteiligt. Das entspreche einer sehr guten Rücklaufquote von 25 Prozent und werde von beteiligten Wissenschaftlern als repräsentativ angesehen, sagte Beuth.

Nach den Worten des Innenministers wird derzeit noch gegen 13 Polizeibeamte in Hessen wegen des Verdachts extrem rechter Betätigungen ermittelt. Sechs weitere wurden bereits aus dem Polizeidienst entlassen, bei einem Beamten werde die Entlassung gerade vorbereitet. In 17 weiteren Fällen habe sich der Verdacht nicht bestätigt, ein Beschuldigter kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

Landesinnenminister Beuth zeigte sich sehr zufrieden über die Ergebnisse der Untersuchung. »Die Studie bestätigt uns in der Auffassung, dass es sich bei den rechten Verdachtsfällen in der hessischen Polizei um Einzelfälle handelt, in denen wir aber mit aller Konsequenz weiterermitteln werden.«

Kritischer fielen die Töne bei der Opposition aus. »Wir begrüßen die Initiative für eine solche Befragung innerhalb der Polizei«, stellte so zwar Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der hessischen Linksfraktion, am Montag klar. Bedauerlich sei allerdings, dass nur 25 Prozent der Beschäftigten an der Untersuchung teilgenommen haben. Schaus wies ferner daraufhin, dass bisher nur öffentlich präsentierte »erste Ergebnisse«, aber noch keine vollständige wissenschaftliche Auswertung der Studieninhalte vorliegen. Erst diese könnten ein differenziertes Bild der Einstellungen unter hessischen Beamten ermöglichen.

Dass Stand November 2019 immerhin 65 Landespolizisten unter Verdacht extrem rechter Einstellungen standen, spreche zudem für sich. »Wir werden alle Ergebnisse und die wissenschaftliche Auswertung der Studie einer eingehenden Prüfung unterziehen«, sagte Schaus. »Die Studie sollte jedoch nicht davon ablenken, dass die Aufklärung und Aufarbeitung zahlreicher Vorwürfe im Zusammenhang mit neonazistischer und rassistischer Umtriebe gegen hessische Polizeibeamte noch lange nicht abgeschlossen ist.«

Der Polizeiforscher Martin Thüne forderte derweil, entsprechende Untersuchungen regelmäßig durchzuführen. »Seit mehr als 20 Jahren gab es nun erstmals wieder eine größere Studie zu politischen Einstellungen von Polizeibeamten«, schrieb der Wissenschaftler. »Solche Studien müssen verstetigt werden, um geeignete Präventions- und Interventionsmechanismen zu entwickeln und die berufliche Zufriedenheit zu messen.« Mit Agenturen

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