Ein Gerechtigkeitsproblem

Netzwoche über ein lebensrettenden Medikament, das per Losverfahren vergeben wird

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 2 Min.

Per Los zum lebensrettenden Medikament. Damit hat der Schweizer Pharmariese Novartis eine breite Debatte losgetreten. Es geht um die Verantwortung der Pharmaindustrie - und um Gerechtigkeit.

Das Medikament Zolgensma verspricht eine Heilung der spinalen Muskelatrophie. Die Erbkrankheit führt unbehandelt zum Tod und trifft vor allem Säuglinge und Kinder.

Das Mittel ist in Deutschland bisher nicht zugelassen - aber in aller Munde. Eine einzige Spritze der Gentherapie reicht zur Behandlung der Krankheit. Die Injektion ist wohl das teuerste Medikament der Welt. Und vergeben wird es in Europa per Los: Zweimal im Monat will Novartis einen Patienten auswählen, der eine Gratisdosis der Gentherapie erhält.

Geschmacklos, frech und zynisch, ganz und gar unmoralisch und anstößig finden das viele Menschen, auch die User sozialer Medien. Aber was daran ist eigentlich so skandalös? »Das erinnert an Spielkasino - und das ist einfach dem Ernst der Situation nicht angemessen«, meint der Philosoph und Medizinethiker Dieter Birnbacher.

Ist es nicht trotzdem für die Betroffenen ein Glückstreffer? Natürlich resultiert aus der Verlosung ein Gerechtigkeitsproblem, wie Wolfram Henn, Mitglied im Deutschen Ethikrat kritisiert. Da das Medikament allerdings hierzulande sonst nicht erhältlich ist, würde es ohne die Lotterie für Betroffene gar keine Rettung gegen. Novartis ist trotzdem kein Heilsbringer. In den Pharmakonzernen heißt es schon seit Langem: »Wehe dem, der keine Blockbuster hat.« Also Medikamente, die richtig Geld reinspülen. Was aber rechtfertigt den hohen Preis von Medikamenten, 2,1 Millionen Dollar im Fall von Zolgensma?

»Der Preis spiegelt den Wert wider, den diese Behandlung für Patienten und das Gesundheitssystem hat, als auch die sehr geringe Zahl von Patienten«, rechtfertigt Novartis die Kosten. Die Geschichte könnte man auch anders erzählen. Entwickelt hat das Medikament gar nicht Novartis, sondern der US-Konzern Avexis. Den hat Novartis aufgekauft und damit eine Wette auf das Mittel Zolgensma abgeschlossen. Mit der Inszenierung eines Medienereignisses um das neue Losverfahren, das den Feuilletons nun Anlass ist, über den Wert des Lebens zu philosophieren, könnte Novartis erreichen, dass das Medikament schneller auf den deutschen Markt kommt - der Druck von Betroffenen und die Hoffnung auf das Wundermittel sind enorm. Obwohl es in Deutschland schon ein anderes, zugelassenes Medikament gibt. Das Unternehmen Novartis verbessert damit seine Wettquote. Und das ist der eigentliche Skandal.

»Für Novartis präsentiert sich der Himmel beinahe wolkenlos«, schreibt die »Neue Zürcher Zeitung«.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Aus dem Netz gefischt
- Anzeige -
- Anzeige -