Glatze der Treuhand

Thomas Kemmerich: Erst unbekannt, dann gehasst

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 2 Min.

»Endlich eine Glatze, die in der Geschichte aufgepasst hat«, verkündete Thomas Kemmerich noch auf einem Plakat für die thüringische Landtagswahl 2019. Die von ihm als Spitzenkandidat geführte FDP schaffte schließlich nur haarscharf den Einzug ins Parlament - mit 5,0005 Prozent der Stimmen. Die weitere Geschichte ist mittlerweile international bekannt: Der 54-jährige Kemmerich wird einerseits als thüringischer Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichtsbücher eingehen. Bereits 25 Stunden nach seiner Wahl hatte er am Donnerstag seinen Rücktritt erklärt. Andrerseits wird man sich an Kemmerich als denjenigen erinnern, der als erster Landesregierungschef seit 1945 die parlamentarische Brandmauer gegen Faschisten eingerissen hat, indem er sich von der AfD ins Amt hieven ließ.

Doch wer ist eigentlich Thomas Kemmerich? Der Politiker kommt ursprünglich aus Aachen. Er studierte Rechtswissenschaften in Bonn, absolvierte gleichzeitig eine Ausbildung zum Kaufmann für Groß- und Einzelhandel. Nach der Wende ging Kemmerich in seinen 20ern als Unternehmensberater nach Thüringen, um dort sein wirtschaftliches Glück zu suchen. Vermutlich fühlte er sich dabei auch ein bisschen wie ein Cowboy, entsprechende Stiefel wurden jedenfalls bald auf Plakaten sein Markenzeichen. Anfang der 1990er Jahre wandelte er für die Treuhand den Friseurteil eines Dienstleistungskombinats in eine GmbH um. Später wurde er Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. Heute ist er zudem Mitgesellschafter der Uhrenwerk Weimar GmbH, hervorgegangen aus dem VEB Uhrenwerk.

Bei der FDP betonte Kemmerich vor allem seine Wirtschaftskompetenz. Der sechsfache Vater ist noch heute Bundesvorsitzender der Vereinigung »Liberaler Mittelstand«. Bei der Landtagswahl 2009 zog er über die Landesliste ins thüringische Parlament, 2014 verlor er sein Mandat wieder. 2012 trat der FDP-Politiker erfolglos als Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Erfurt an. 2017 wurde Kemmerich für die Liberalen in den Bundestag gewählt, 2018 als Spitzenkandidat für die Landtagswahl ein Jahr später bestimmt.

Einige Fragen bleiben offen: Muss Kemmerich nach seiner Rücktrittsankündigung nun geschäftsführend im Amt bleiben, bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist? Falls ja, wird es für ihn vermutlich keine angenehme Zeit werden. Während die politische Karriere des FDP-Landeschefs weitestgehend vorbei sein dürfte, hat sich seine eintägige Amtszeit zumindest finanziell gelohnt: Wie ein Sprecher des Erfurter Finanzministeriums am Donnerstag gegenüber Medien erklärte, hat Kemmerich trotz seines schnellen Rückzugs einen Anspruch auf mindestens 93 000 Euro Bezüge.

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