Der Protest radikalisiert sich

Gegner der Rentenreform in Frankreich besetzen Zentrale von Blackrock

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Um ihrer Ablehnung der Rentenreformpläne der Regierung Nachdruck zu verleihen, haben am Montag in Paris mehr als 100 Demonstranten die Frankreich-Zentrale des internationalen Finanzinvestors Blackrock besetzt. Nachdem ihnen ein Treffen mit dem Frankreich-Chef des Vermögensverwalters, Jean-François Cirelli, verweigert wurde, verwüsteten sie einige Büros und sprühten Losungen an die Wände. Unterdessen blockierten weitere Demonstranten auf der Straße den Eingang des Gebäudes. Die Polizei sperrte die umliegenden Straßen und bereitete sich darauf vor, das Gebäude zu stürmen. Doch bevor es dazu kam, verließen die Besetzer friedlich das Haus. 17 von ihnen, darunter auch Minderjährige, wurden verhaftet. Ihnen werden Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorgeworfen.

An der Aktion beteiligten sich auch Mitglieder der Bewegung Youth for Climate France, die sowohl gegen die Rentenreform als auch gegen Blackrock-Investitionen in »umweltzerstörende Projekte« protestierten. Die Gewerkschaften und linken Parteien gingen vorsichtig auf Distanz zu den Besetzern. Sie lehnen Gewalt ab und befürchten »Provokationen sowie eine Unterwanderung durch radikalisierte Kreise von Demonstranten sowie blinden Anarchismus«, wie ein Gewerkschafter in einem Interview sagte. »Das würde aber unsere Protestbewegung diskreditieren und schwächen und so der Regierung in die Hände spielen.«

Die Aktion ist jedoch auch Ausdruck eines Trends zur Radikalisierung unter den Gegnern der Rentenreform. Viele von ihnen sind über den verhältnismäßig geringen Effekt der seit Anfang Dezember 2019 anhaltenden Streiks und Protestationen verbittert. Sie suchen nun nach neuen, wirksameren Protestformen. Einige Gewerkschaften sind dazu übergegangen, durch überraschende und kurzzeitige Streiks vor allem im Verkehrswesen, aber auch in der Industrie und im öffentlichen Dienst ihr »Störpotenzial« unter Beweis zu stellen. Damit wollen sie die Taktik der Regierung durchkreuzen, den Konflikt stur auszusitzen.

So kommt es beispielsweise immer wieder zur Unterbrechung der Stromversorgung für einzelne Konzerne oder ganze Gewerbegebiete mit kleinen und mittleren Unternehmen. Dabei versuchen die Mitglieder der CGT-Gewerkschaft Energie, Wohnviertel zu verschonen. Solche Störungen der Energieversorgung fallen nicht unter das Streikrecht und sind eigentlich gesetzlich verboten. Der Energiekonzern EDF erstattet auch regelmäßig Anzeige gegen die verantwortlichen Gewerkschafter, doch bisher ist die Justiz nicht tätig geworden.

Es gibt unter den Demonstranten gegen die Rentenreform aber auch Gruppen von besonders Kampfentschlossenen, die zu spektakuläreren Aktionen greifen. So kam es beispielsweise kürzlich zu einer kurzzeitigen Besetzung der Zentrale der reformistischen Gewerkschaft CFDT. Dieser wird eine zu große Nähe zur Regierung und deren Plänen vorgeworfen. Handstreichartig versuchten Demonstranten die Besetzung eines Theaters, in dem sich Präsident Emmanuel Macron gerade ein Stück ansah. Sie störten die Aufführung kurzzeitig durch Sprechchöre. Bei Nacht wurde ein Brand im Pariser Nobelrestaurant Rotonde gelegt. Dort verkehrt der »Präsident der Reichen«, wie Macron auch genannt wird, regelmäßig.

Dass die Investmentgruppe Blackrock ins Visier der Protestbewegung gegen die Rentenreformpläne gerät, ist kein Zufall. Ihr Frankreich-Chef Jean-François Cirelli gilt als einflussreicher Lobbyist, der sich sowohl vor als auch nach der Wahl von Macron zum Präsidenten wiederholt mit diesem traf und ihn in Wirtschafts- und Finanzfragen beriet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Cirelli für eine schrittweise Ablösung des Solidarprinzips des Rentensystems durch kapitalgebundene Renten nach angloamerikanischem Muster lobbyiert.

Davon versprechen sich Fonds wie Blackrock ein Milliardengeschäft. Im vergangenen Dezember wurde von der Presse ein geheimes Arbeitspapier von Blackrock France veröffentlicht, in dem detailliert dargelegt wird, wie unter Nutzung geltender Gesetze das französische Rentensystem für private Rentenfonds »geöffnet« werden kann. Verdächtig ähnlich sieht Macrons Rentenreform nun vor, dass Bezieher sehr hoher Einkommen nur noch für die ersten 10 000 Euro Beiträge in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen und sich damit am Solidarprinzip beteiligen müssen. Dabei sollen die privaten Rentenfonds gestärkt werden, wovon auch Blackrock letztlich profitieren würde.

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