Nach dem Vorbild von Christchurch

Rechtsterroristische »Gruppe S.« wollte zeitgleich mehrere Moscheen angreifen und einen Bürgerkrieg starten

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Samstagvormittag, Anfang Februar. Zum letzten Mal treffen sie sich alle in einem Haus in Minden, einer mittelgroßen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Zwei von ihnen, darunter der Handwerker Thomas N., stammen aus der Gegend. Die zwölf Neonazis und Reichsbürger zwischen 31 und 60 Jahren kommen aus insgesamt sechs Bundesländern. Kennengelernt haben sie sich im Internet. Einmal zuvor, im Herbst vergangenen Jahres, trafen sich neun von ihnen bereits bei einer Sägemühle im baden-württembergischen Alfdorf nahe Stuttgart. Hier diskutierte man über Waffen, eine scharfe Pistole wurde von einem Mann namens Werner S. rumgezeigt. S. ist laut dem »Spiegel« bei den Sicherheitsbehörden als rechter »Gefährder« eingestuft, man traut ihm also Anschläge zu. In sozialen Netzwerken ist er mit lokalen AfD-Funktionären verbunden. Sein Spitzname in Nazikreisen lautet »Teutonico«.

Der Wortführer Werner S. spricht nun auch auf dem Treffen in Minden Klartext. In mehreren Gemeinden sollen zeitgleich kleine Gruppen in Moscheen eindringen und dort betende Muslime umbringen. Konkret: Zehn Männer werden in zehn Bundesländern als Kommandos zuschlagen, heißt es laut »Spiegel« bei abgehörten Telefonaten. Gegenüber der »dpa« berichten Sicherheitskreise von sechs Moscheen, die als Ziele auserkoren worden. Ein bis zwei Männer der Gruppe werden bei dem Treffen beauftragt, die notwendigen Waffen zu besorgen. Alle legen dafür zusammen, rund 50 000 Euro. Die Teilnehmer diskutieren weitere Anschläge. Das Ziel: Durch die Massaker scharfe Gegenreaktionen hervorrufen - einen Bürgerkrieg erzwingen. Was die Gruppe zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Sie wird observiert.

Polizei und Verfassungsschutz hatten die »Gruppe S.« - sie selbst nannte sich in Chatgruppen »Der harte Kern« - offenbar schon seit Monaten auf dem Schirm. Laut Medienberichten soll bereits im Oktober ein Teilnehmer ausführliche Angaben bei den Sicherheitsbehörden gemacht haben, ohne seine Mitstreiter zu warnen. In der vergangenen Woche sei der Kontakt zu dem Mann jedoch abgebrochen, berichteten »SWR« und »ARD« unter Berufung auf Ermittlerkreise. Das federführende Landeskriminalamt Baden-Württemberg habe sich deswegen Sorgen um die Sicherheit des Informanten gemacht. Auch war unklar, ob spontane Taten drohen.

Am vergangenen Freitag schlug dann die Polizei zu. Mit Razzien in sechs Bundesländern wollte der Staatsschutz auch prüfen, wie ernst es der »Gruppe S.« wirklich war. Die Sondereinsatzkommandos fanden bei den Durchsuchungen Äxte, Schwerter, Handgranaten und Schusswaffen, darunter eine scharfe 9-Millimeter-Pistole und eine selbstgebaute Flinte mit 100 Schuss Munition. Solch eine »Slam-Gun« hatte auch der antisemitische Attentäter von Halle verwendet, als er versuchte, am 9. November in eine Synagoge einzudringen.

Direkt nach den Razzien beantragte die Bundesanwaltschaft die Verhängung von Haftbefehlen gegen 12 der 13 Beschuldigten. Der Informant war demnach das einzige Gruppenmitglied, das nicht festgenommen wurde. Brisant: Einer der Verdächtigen ist ein Verwaltungsbeamter der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Vier der Verdächtigen stufen die Behörden als Kerngruppe ein, die anderen acht werden als Unterstützer gezählt.

Neben dem Behördenmitarbeiter und Werner S. sticht besonders Tony E. aus der Gruppe heraus, laut Medienberichten die »rechte Hand« von S. Nach Ende der Razzia seien auf dem Grundstück des 39-jährigen E. im Landkreis Uelzen mehrere Neonazis aufgetaucht, schrieb das »Antifaschistische Infoportal Lüneburg«. Diese Angereisten hätten dann Anwohner und Journalisten eingeschüchtert. E. sei weiterhin in dem »Freikorps Heimatschutz« organisiert gewesen, einer Gruppe, die sich nach eigener Aussage auf den »Krieg« vorbereitet. Medien berichteten auch von Kontakten der »Gruppe S.« zu den »Vikings Security Germania« und »Wodans Erben Germania«, beides deutsche Abspaltungen der extrem rechten Organisation »Soldiers of Odin« aus Finnland. Die hiesigen Ableger inszenieren sich wie das Original als Bürgerwehr. Zwei Unterstützer sollen in diesen rockerähnlichen Gruppen aktiv gewesen sein.

Politik und Zivilgesellschaft zeigten sich entsetzt über die Anschlagspläne. Robert Lüdecke von der Amadeu-Antonio-Stiftung wies gegenüber »nd« auf die Bezugnahme der Verdächtigen hin: »Die Rechtsextremen planten mit ihren Anschlägen auf Moscheen einen Terroranschlag nach dem Vorbild von Christchurch.« Ein Rechtsterrorist tötete im März 2019 in Neuseeland bei Angriffen auf islamische Zentren insgesamt 51 Menschen und verletzte weitere 50. Die Saat, bei der Rechtsterroristen mit ihren Anschlägen Nachahmer gewinnen wollen, gehe auf, so Lüdecke.

»Der Weg durch die Parlamente wird den erhofften Systemwandel auf absehbare Zeit nicht ermöglichen, deshalb wünschen sich diese Rechtsterroristen um jeden Preis einen Bürgerkrieg herbei«, erklärte der Experte weiter. Die Amadeu-Antonio-Stiftung wisse von »Hunderten von Chatgruppen«, in denen die Vorbereitungen auf einen »Tag X« im vollen Gang seien. »Man fragt sich, was noch passieren muss, bis endlich die rechtsterroristischen Netzwerke zerschlagen und die 482 offenen Haftbefehle gegen Rechtsextreme vollstreckt werden.«

Martina Renner, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, forderte von den Behörden verstärkte Transparenz. »Sofern bei den Durchsuchungen Hinweise auf Anschlagsplanungen gefunden wurden, müssen die Betroffenen umgehend informiert werden«, sagte die Politikerin gegenüber »nd«. Sie wies darauf hin, dass in anderen Verdachtsfällen von rechtem Terror die Staatssicherheit offenbar nicht so hart durchgreift, wie bei der »Gruppe S.« »Auffällig ist doch, wie schnell und entschlossen die Behörden hier handeln, während im Nordkreuz-Komplex auch nach Jahren noch wesentliche Fragen offen und viele Akteure unbekannt sind.«

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