»Gruppe S. ist nur der sichtbare Teil des Eisbergs«

Martina Renner über die Festnahme von mutmaßlichen Rechtsterroristen

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein Dutzend mutmaßliche Rechtsterroristen der »Gruppe S.« wurden verhaftet – können Sie sich an Fälle erinnern, in denen es ähnlich viele waren?

Die Frage habe ich mir noch nicht gestellt, aber aus der jüngeren Vergangenheit ist mir kein Fall bekannt.

Aber dafür ist es gerade ganz schön ruhig …

Die mediale Öffentlichkeit, vor allem aber die Koalition ist insgesamt beim Thema Rechtsterror ruhig - nicht nur in diesem Fall. Dass es keinen ARD-Brennpunkt gibt, keine großen »Bild«-Schlagzeilen, das liegt auch an der Berichterstattung der letzten Jahre. Immer wenn ein neues Netzwerk bekannt wird, ist rechter Terror kurz Thema und wird meist bemüht entpolitisiert. Man spricht von rechten Schläfern, Einzeltätern und vielleicht noch Online-Chats. Dann fordern Polizei und Verfassungsschutz mehr Geld und Befugnisse und das war es meistens.

Wer erinnert sich schon an die ganzen Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes im Bereich Rechts der letzten Jahre? Nordadler, Nazidruide, jemand, der plante mit Sprengstoff an einem Modellflugzeug eine Demo anzugreifen, Neue Ordnung, Weiße Wölfe Terrorcrew – die Liste ist lang und jenseits von Fachöffentlichkeit, antifaschistischen Rechercheteams und einige Journalist*innen gibt es wenig Bemühungen, tiefer zu gehen.

Wenn ich mir jetzt vorstelle, es wären zwölf Linke oder zwölf Islamisten gewesen, da wäre aber schon ein bisschen mehr los, oder?

Martina Renner, Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für antifaschistische Politik, befasst sich seit Jahren mit rechten Netzwerken und Strukturen.
Martina Renner, Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für antifaschistische Politik, befasst sich seit Jahren mit rechten Netzwerken und Strukturen.

Davon gehe ich auch aus. Und dabei sind solche Gruppen wie die Gruppe S. nur der sehr sichtbare Teil des Eisbergs. Der Rechtsruck der vergangenen Jahre hat den Boden für diese Art der terroristischen Organisierung bereitet. Diese Leute - zum Teil mit einem organisiert rechten Hintergrund - sind geprägt von antimuslimischem Rassismus und einem Hass auf Linke. Sie sind zu Taten bereit und geprägt von verschiedenen Spielarten rechter Alltagskultur: Germanen- und Wikingerkult, Kampfsport und Bürgerwehren als Teil rechter Selbstermächtigung. Teils sind sie auch als Straftäter am Rande von Neonaziaufmärschen in Erscheinung getreten. Man vernetzt sich über Chats, trifft sich im realen Leben, plant gemeinsame gewalttätige Aktionen, plant die Waffenbeschaffung – das dürfte tagtäglich an vielen Stellen so passieren.

Was ist bei der Gruppe S. jetzt anders?

Das wird sich noch zeigen. Auffällig ist doch, wie schnell die Behörden hier handeln und wie schnell auch viele Haftbefehle erlassen werden. In anderen Komplexen wie zum Beispiel dem Nordkreuz-Netzwerk oder Franco A. ist auch nach Jahren weder bekannt, wie groß die Strukturen eigentlich und wer die Hintermänner sind. Das könnte durchaus mit der unterschiedlichen Rolle polizeilicher und geheimdienstlicher V-Personen in den jeweiligen Kontexten zu tun haben.

Im aktuellen Fall hatten die Behörden offenbar einen Zugang über eine Quelle aus Baden-Württemberg und konnten die Erkenntnisse so verdichten, dass ein Zugriff möglich wurde. Vor allem aber gab es im aktuellen Fall offenbar ein Handlungsinteresse. Wir erleben im Moment permanent Anschläge auf linke Einrichtungen, Drohungen in Richtung Moscheen und Geflüchtetenunterkünfte. Es kommt zum Einsatz von Waffen und Sprengstoffen. Die Schüsse in Halle – all das geschieht aus den gleichen Kontexten heraus wie bei der Gruppe S. Aber die Sicherheitsbehörden sind da nicht im gleichen Maße fähig oder willens, dort mit Durchsuchungen und Festnahmen agieren zu können.

Ist im Odin-Kult, der rund um die »Gruppe S.« ein Thema ist, schon ein Bezug zu einem internationalem Rechtsterrorismus zu sehen?

Da wäre ich in der Tat vorsichtig. Der Odinkult, Bezüge zu einer vermeintlich nordischen Mythologie oder der Kontakt zu Gruppierungen in Italien – das müssen nicht gleich konkrete Verbindungen sein. Das gehört zu der Symbolik und zum ideologischen Hintergrund der extremen Rechten. Es ist auch immer eine Form, sich selbst Geltung zu verschaffen. Man will mit der rechten Symbolik auch innerhalb der Szene Eindruck schinden.

Die Gruppe S. hat relativ offen agiert. Ich befürchte, es gibt andere Gruppierungen, die weitaus klandestiner sind. Ich wünschte, man würde die ähnlich in den Blick nehmen, insbesondere die Strukturen, die in der jüngsten Vergangenheit durch engste Verbindungen in Richtung Polizei und Bundeswehr aufgefallen sind. Wäre man dort so konsequent, wie im Fall der Gruppe S, dann wären viele, die sich aktuell durch den Rechtsterrorismus bedroht fühlen, deutlich entlastet.

Die internationale Vernetzung halte ich vor allem im Bereich Combat 18 und der Atomwaffendivision für gegeben. Und das sind nur die beiden offensichtlichsten Beispiele.

Jetzt ist diese nordische Symbolik nicht verboten …

Zum Teil! Da ist nicht alles erlaubt. SS-Runen, die Wolfsangel, das Keltenkreuz … nur einige Beispiele.

Würden mehr Verbote in diesem Bereich helfen?

Ich glaube nicht, dass wir über das Verbot der Symbolik an den Kern der faschistischen Ideologie und ihre Attraktivität herankommen. Und was würde das bringen? Wir haben es bei anderen Symboliken gesehen, auf die dann ausgewichen wird. Dann heißt es eben nicht mehr Blood and Honour, sondern 28 oder die 88 statt Heil Hitler. Das ist ein Katz- und Mausspiel und darüber lässt sich kein Ermittlungsdruck aufbauen.

Ist man bei den Sicherheitsbehörden ausreichend sensibel ?

Es kommt eher darauf an, sich die Netzwerke anzuschauen, die Akteure zu identifizieren, Führungspersonen festzustellen und deren Unterstützungsstrukturen zu analysieren. Aber genau im Bereich der Analyse mangelt es. Mitunter wirkt es, als seien die Behörden in dem Bereich noch in den 1990er Jahren verhaftet und erkennen den Nazi nur an Springerstiefeln und den Consdaple- oder Lonsdale-Klamotten. Da scheint es einen Zeitverzug zu geben. Die rechte Szene ist längst weitergegangen. Gerade online kann man sich da sehr gut auf den aktuellen Stand bringen – aber da scheinen die Behörden immer so fünf Jahre hinterher zu hinken.

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