Ein Problem der gesamten Gesellschaft

Martina Renner über rechten Terror in Deutschland und dessen Verharmlosung durch Politik und Behörden

  • Daniel Lücking und Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Rechtsterroristen der »Gruppe S« wollten bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland herbeiführen. Im hessischen Hanau gab es in den Nacht zu Donnerstag einen rassistischen Anschlag mit neun Opfern. Der Attentäter tötete danach wahrscheinlich seine Mutter und sich selbst. Warum wird die rechtsterroristische Gefahr in Deutschland so unterschätzt?

Das hat aus meiner Sicht mehrere Gründe: Allgemein fürchte ich, dass rechter Terror in der Tendenz nicht als gesellschaftliche Bedrohung anerkannt wird, weil die Opfer nicht als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Die immer wiederkehrende rassistische Debatte, ob denn der Islam - und damit die Muslime - Teil der deutschen Gesellschaft seien, kann nicht getrennt davon betrachtet werden, dass Menschen dann den Entschluss fassen, Muslime anzugreifen und zu töten.

Im Interview
Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken und Sprecherin für antifaschistische Politik, befasst sich seit Jahren mit rechten Netzwerken und Strukturen. Über das Terrornetzwerk »Gruppe S« und die Anschläge in Hanau sprachen mit ihr Daniel Lücking und Fabian Hillebrand.

In anderen Fällen stehen meiner Erfahrung nach auch Interessen der Geheimdienste einer juristischen und politischen Aufklärung im Wege. Und ohne diese Aufklärung wird die Gefahr auch weiterhin unterschätzt werden.

In Hanau griff nicht eine Gruppe, sondern ein einzelner zur Waffe. Können die Sicherheitsbehörden das Problem sich radikalisierenden Einzeltäter überhaupt in den Griff bekommen?

Zunächst glaube ich, dass die Hypothese des Einzeltäters politisch und auch unter Ermittlungsgesichtspunkten kontraproduktiv ist. Sie verengt die Perspektive und blendet Hintergründe, Mitwisser und Mittäter aus.

Was im Hinblick auf die sogenannte Radikalisierung, also die Entwicklung der Täter hin zu einem Tatentschluss, wichtig ist, ist dass wir diese Entwicklung stärker in einen gesellschaftlichen Kontext stellen. Die Auswahl der Opfer und die Begründung, diese anzugreifen und zu ermorden, haben unmittelbar mit dem zu tun, was gesellschaftlich als sagbar und vertretbar gilt. Wenn wir ständig Leute in Talkshows zu sitzen haben, die rassistische Ausschlüsse bestimmter Bevölkerungsgruppen rechtfertigen, fordern und herstellen, dann wird es immer Leute geben, die diese Gruppen dann angreifen und töten, eben weil sie vorher bereits als Opfer markiert und zu »Anderen« gemacht wurden.

Im Fall der »Gruppe S« reagierten die Behörden rechtzeitig, bevor diese ihre Bürgerkriegsfantasien in die Tat umsetzten konnten.

Ja, auffällig ist, wie schnell die Behörden hier handelten und wie schnell viele Haftbefehle erlassen werden. In anderen Komplexen wie zum Beispiel dem Nordkreuz-Netzwerk oder Franco A. ist auch nach Jahren weder bekannt, wie groß die Strukturen eigentlich sind und welche Hintermänner es gibt. Das könnte durchaus mit der unterschiedlichen Rolle polizeilicher und geheimdienstlicher V-Personen in den jeweiligen Kontexten zu tun haben.

Warum war es im Falle der »Gruppe S« möglich einzugreifen?

Die Behörden hatten offenbar einen Zugang über eine Quelle aus Baden-Württemberg und konnten die Erkenntnisse so verdichten, dass ein Zugriff möglich wurde. Vor allem gab es in diesem Fall offenbar ein Handlungsinteresse. Wir erleben im Moment permanent und an verschiedenen Orten Anschläge auf linke Einrichtungen, Drohungen in Richtung Moscheen und Geflüchtetenunterkünfte. Es kommt zum Einsatz von Waffen und Sprengstoffen. Die Schüsse auf eine Moschee und einen Dönerladen in Halle - all das geschieht aus den gleichen Kontexten heraus wie bei der »Gruppe S« oder dem Attentäter von Hanau. Aber die Sicherheitsbehörden sind nicht in allen Fällen im gleichen Maße fähig oder willens, mit Durchsuchungen und Festnahmen agieren zu können.

Wie gehen Gesellschaft und Medien mit der Häufung rechten Terrors um?

Immer wenn ein neues Netzwerk bekannt wird, ist rechter Terror kurz Thema und wird meist bemüht entpolitisiert. Man spricht von rechten Schläfern, Einzeltätern und vielleicht noch Online-Chats. Dann fordern Polizei und Verfassungsschutz mehr Geld und Befugnisse. Das war es dann meistens. Wer erinnert sich schon an die ganzen Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes im Bereich Rechts der letzten Jahre? Nordadler, Nazidruide, jemand, der plante mit Sprengstoff an einem Modellflugzeug eine Demo anzugreifen, Neue Ordnung, Weiße Wölfe Terrorcrew - die Liste ist lang und jenseits von Fachöffentlichkeit, antifaschistischen Rechercheteams und einige Journalist*innen gibt es wenig Bemühungen, tiefer zu gehen.

Ist man bei den Sicherheitsbehörden ausreichend sensibel ?

Es kommt eher darauf an, sich die Netzwerke anzuschauen, die Akteure zu identifizieren, Führungspersonen festzustellen und deren Unterstützungsstrukturen zu analysieren. Aber genau im Bereich der Analyse mangelt es. Mitunter wirkt es, als seien die Behörden in dem Bereich noch in den 1990er Jahren verhaftet und erkennen den Nazi nur an Springerstiefeln und den Consdaple- oder Lonsdale-Klamotten. Da scheint es einen Zeitverzug zu geben. Die rechte Szene ist längst weitergegangen. Gerade online kann man sich da sehr gut auf den aktuellen Stand bringen - aber da scheinen die Behörden immer so fünf Jahre hinterher zu hinken.

In Bezug auf Hanau sprachen die Ermittlungsbehörden von Fremdenfeindlichkeit. Sie haben den Begriff kritisiert. Warum?

Der Begriff ist erstens ungenau: Die Feindlichkeit richtet sich nicht gegen Fremde, sondern gegen rassistisch bestimmte Fremde. Ein unbekannter weißer Deutscher aus Schleswig-Holstein ist dem Rassisten aus Hessen auch fremd, doch er wird niemals Opfer von Rassismus werden. Zweitens wiederholt der Begriff einen Ausschluss und grenzt die Opfer ein weiteres Mal aus, indem er sie zu Fremden macht.

Die Razzien gegen die »Gruppe S« und die Morde in Hanau, was muss nun politisch passieren, um den rechten Terror zu bekämpfen?

Rechter Terror und Rassismus müssen als schwere gesellschaftliche Bedrohungen und vor allem als zusammenhängende Bedrohungen erkannt und angegangen werden. Die Täter wählen ihre Opfer eben nicht willkürlich aus, sondern entsprechend rassistischer Kriterien. Dieser Rassismus ist eben nicht nur ein Problem der extremen Rechten, sondern der gesamten Gesellschaft. Das belegen immer wieder entsprechende Einstellungsuntersuchungen.

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