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Razzien statt Schutz
Migrantische Orte: unsicher, kriminalisiert und politisch.
Wie kann man nach diesem Mordanschlag zum Gedenken ans Brandenburger Tor aufrufen? Das Brandenburger Tor hat nichts mit migrantischen Communities zu tun!«, empört sich Simone Dede Ayivi am Freitagmorgen. Ayivi ist Schauspielerin, Künstlerin und Schwarze Aktivistin. Sie ist in Hanau geboren und lebt seit Jahren an der Sonnenallee im Berliner Stadtteil Neukölln.
Migrantische Communities finden sich nicht am Brandenburger Tor. Viele Migrant*innen leben in Neukölln, in mehreren Generationen. Ihre Treffpunkte sind Sportvereine, Cafés - und Shisha-Bars. Gerade AfD-Politiker stigmatisieren diese Orte seit langem (siehe Seite 8). Nicht nur dadurch werden diese immer unsicherer: Razzien sollen belegen, dass es sich um Treffpunkte für Kriminelle handelt, auch wenn Ermittlungen oft zu wenig bis nichts führen.
Es kann kein Zufall sein, dass der Mörder von Hanau gerade in einer Shisha-Bar Menschen erschossen hat.
Sie habe nicht daran geglaubt, dass ausgerechnet Hanau die Stadt ist, in der man rassistische Morde beklagen werde, erklärt Ayivi am Donnerstag in einem Video der Initiative Schwarze Deutsche (ISD Bund). »Hanau war immer eine migrantische Stadt mit einer starken antirassistischen Bewegung. Wenn es in Hanau passiert, dann kann es überall passieren«, sagt sie zu »nd«. Vielleicht sei dies jetzt mehr Leuten klar geworden.
Vielleicht: In Neukölln waren am Abend nach dem rassistischen Mordanschlag mehr als 5000 Menschen auf der Straße, um gegen rechten Terror zu demonstrieren, gerade in den ersten Reihe liefen auch viele junge Migrant*innen. »Es waren viele Leute, ja, aber wer in Neukölln kann an so einem Abend allein zu Hause bleiben?« fragt Ayivi.
Beeindruckt gewesen sei sie von den zahlreichen in so kurzer Zeit organisierten Demonstrationen bundesweit. »Das es so schnell geht, zeigt aber auch: wir sind darauf eingestellt. Das ist beängstigend«, betont die Künstlerin.
Noch am Donnerstag kündigte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) an, die Sicherheitsvorkehrungen in der Hauptstadt auf den Prüfstand zu stellen. Er habe »Vertreter der migrantischen Community« zu einem Gespräch über die Sicherheitslage eingeladen, sagte Geisel: »Weil wir migrantische Einrichtungen selbstverständlich schützen«.
Bisher sind Polizist*innen eher nicht dadurch aufgefallen, dass sie sich schützend vor migrantische Orte wie Shisha-Bars stellen. Gerade in Berlin spielen sich dort häufig Polizeieinsätze ganz anderer Art ab: Im vorigen Jahr hat die Polizei hier dutzendfach bei Razzien mit Hunderten Beamt*innen großräumig Straßenzüge abgeriegelt. Polizist*innen sind mit gezogenen Waffen in Cafés eingedrungen und haben Gäste und Personen auf der Straße kontrolliert. Die Ermittlungserfolge waren vergleichsweise gering. Solche Razzien befeuern vor allem die Debatte über angebliche Clan-Kriminalität, die den Diskurs zu Migrant*innen seit etwa anderthalb Jahren stark beeinflusst. Dabei wird immer wieder unterstellt, Shisha-Bars seien wichtige Treffpunkte für Straftäter.
Welche Sicherheitsbehörde könne denn zum jetzigen Zeitpunkt von sich behaupten, dass ihre Mitarbeiter*innen in der Lage und gewillt seien, migrantisches Leben zu schützen - notfalls sogar mit ihrem eigenen, fragt Ayivi. Und: Man müsse endlich verstehen, dass migrantische Räume per se politisch seien, erklärt die politische Aktivistin. Viele Migrant*innen besuchten diese nämlich nicht ausschließlich, weil sie dazu Lust hätten, sondern, weil sie keine Wahl hätten.
Auch Mohammed Ali Chahrour findet die Bekundung des Innensenators nicht glaubwürdig: »Er hat die Stigmatisierung doch maßgeblich mit vorangetrieben«, wundert sich Chahrour. Der 25-Jährige hat die abendliche Demonstration in Neukölln mitorganisiert. Wenn es solche Schutzmaßnahmen demnächst wirklich gebe, so der junge Lokalpolitiker, werde man sehr genau nachfragen, welche dies sein sollen. »Heißt das etwa, es werden noch mehr Kontrollen durchgeführt?«, fragt er. Chahrour ist SPD-Mitglied und studiert Sozialwissenschaften. Was Stigmatisierung bedeutet, weiß er nur zu gut. Sein Familienname ist einer, den Leitmedien und Politiker*innen nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit angeblich kriminellen arabischen Großfamilien gebrauchen.
Für Chahrour schließt sich der Kreis zu den rechten Morden in Hanau am Beispiel des politischen Umgangs mit der seit Jahren andauernden rechten Terrorserie im südlichen Neukölln. Dazu zählen mindestens 72 Taten, darunter 23 Brandanschläge. Nazi-Schmierereien wie zuletzt an einer Schule in der Sonnenallee werden nicht einmal dazu gezählt. »Der Kampf gegen die angeblichen Clans spielt den Nazis in die Hände«, sagt Chahrour. Während man hier Kollateralschäden billigend in Kauf nehme, sei davon beim Einsatz gegen rechts nicht nicht zu verzeichnen. »Aber jetzt spitzen sich die Ereignisse zu.«
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