Wer sind die Ermordeten?
Oberbürgermeister Kaminsky: Die Getöteten waren keine Fremden. Von Johanna Treblin
Über 100 Organisationen, die sich als »postmigrantisches Netzwerk« verstehen, wählen nach der Bluttat von Hanau einen anklagenden Ton. Viele Parteien übernähmen seit Jahren Rhetorik und Inhalte von Rechtsradikalen, heißt es in einem »Manifest für eine postmigrantische Gesellschaft«. Die Neuen Deutschen Organisationen sind ein »Bündnis aus Migranten, Schwarzen Menschen und Deutschen of Color«. Sie finden: Wenn einzelne Gruppen angegriffen würden, müsse sich der Staat schützend vor sie stellen und seiner Fürsorgepflicht nachkommen - »ohne Wenn und Aber«. Rassismus zeige sich nicht erst, wenn einer zur Waffe greife, sondern bereits, wenn Angriffe auf Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte als »fremdenfeindlich« bezeichnet werden. »Das ist auch unser Land.«
Viele fordern jetzt - wie im Falle der NSU-Morde -, die Namen der zehn Opfer zu nennen. In den sozialen Netzwerken kursieren Listen, ein Instagram-Account wurde für sie eingerichtet. Offiziell bestätigen jedoch weder Polizei noch Bundesanwaltschaft die Namen. Unter den Toten sind nach nd-Recherchen türkeistämmige Menschen, Kurden, ein rumänischer, ein bulgarischer und ein bosnischer Staatsbürger sowie mindestens ein afghanischstämmiger Mann und eine Romni. Die meisten von ihren wurden in Deutschland geboren. Einer soll gerade seine Ausbildung zum Heizungsmechaniker absolviert, ein anderer kurz vor der Verlobung gestanden haben. Einer soll Kellner gewesen sein, eine Frau in einem Kiosk gearbeitet und zwei Kinder hinterlassen haben. Sie wurden in zwei Shisha-Bars und einem Kiosk ermordet. Zwei der Todesopfer soll der Attentäter während seiner Fahrt durch Hanau in ihren Autos erschossen haben. Auf Instagram schildert ein Überlebender, wie er das Attentat in einer der Bars erlebte. Er liegt dabei im Krankenhaus, zieht zwischendurch schmerzerzerrt das Gesicht, muss beinahe weinen. »Wir waren elf«, sagt er. »Nur zwei oder drei von uns haben überlebt.«
Am Ende tötete der Attentäter auch sich selbst. In der Wohnung, in der ihn die Polizei schließlich fand, wurde außerdem seine Mutter tot aufgefunden. Medienberichten zufolge war auch sein Vater in der Wohnung, er hatte überlebt.
Am Freitag überwog noch die Trauer über die Opfer des Attentäters. Doch auch der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) wandte sich dabei gegen die Bezeichnung der Tat als fremdenfeindlich. »Diejenigen, die hier in Hanau ermordet wurden, waren keine Fremden.« In der Stadt hätten viele Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund. »Das sind alle keine Fremden«, so seine emotionale Erklärung.
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