Ohrenbetäubender Jubel

Linkspartei hofft, dass AfD nicht ins Parlament kommt / SPD und Grüne können weiterregieren

  • Folke Havekost und Reinhard Schwarz
  • Lesedauer: 4 Min.

Jubel bei SPD und Grünen: Die Wähler der Hansestadt haben den rot-grünen Senat bestätigt. Die SPD musste nach der ersten ARD-Hochrechnung zwar starke Stimmenverluste hinnehmen, wurde mit 37,6 Prozent aber wieder stärkste politische Kraft. Vor fünf Jahren war die SPD noch auf 45,6 Prozent gekommen. Die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Katharina Fegebank verdoppelten ihr Wahlergebnis von 2015 und erhielten rund 25 Prozent der Stimmen. Niedergeschlagen sind hingegen die Christdemokraten: Sie kommen laut Hochrechnungen auf 11,4 Prozent und fuhren damit ein noch schlechteres Ergebnis als 2015 ein. Damals hatten sie 15,9 Prozent erhalten. Freude herrscht bei der Linken, die wohl etwas hinzugewinnen konnte und auf rund neun Prozent kommt.

Zittern um ihren Einzug in die Bürgerschaft musste bei Redaktionsschluss die FDP, die laut Hochrechnung bei 5 Prozent lag. Allgemeines Aufatmen und Genugtuung löste bei vielen das Wahlergebnis der AfD aus, die mit 4,7 Prozent möglicherweise den Einzug in das Kommunalparlament verfehlt. Die Wahlbeteiligung war trotz Dauerregens mit 62 Prozent höher als 2015 (56,5 Prozent).

Kurz vor Schließung der Wahllokale ist Spitzenkandidatin Cansu Özdemir auf der Linken-Wahlparty in St. Pauli eingetroffen. »Ihr wart bei kaltem und regnerischem Wetter unermüdlich auf der Straße, für dieses Ergebnis haben wir gekämpft«, sagt sie zu den Anhängern, ehe sie ins Wahlzentrum Messehallen aufbricht. Ihr Zeitplan ist eng getaktet: 20 Minuten nach den ersten Prognosen bittet die ARD um Rede und Antwort.

»Dieses Ergebnis tut auch im Bund gut«, sagt Bundesparteichef Bernd Riexinger: »Wir haben viele Haustürbesuche durchgeführt und hatten am meisten Kompetenz in Mietenfragen.« Bei aller Freude über das eigene Ergebnis: Ohrenbetäubend wird der Jubel auf der Wahlparty, als sich das parlamentarische Aus der AfD abzeichnet. Schreien, Klatschen und Sprechchöre: »Nazis raus, Nazis raus!«. »Über neun Prozent sind klasse«, freute sich die Bürgerschaftsabgeordnete Heike Sudmann über das Ergebnis der Linkspartei: »Und es wäre einfach so schön, wenn die AfD draußen wäre. Nazis raus aus den Parlamenten, Rassismus raus aus den Köpfen!«

Die beiden aktuellen Koalitionspartner SPD und Grüne lagen noch vor einigen Wochen in Umfragen Kopf an Kopf bei je 29 Prozent. Das Bürgermeisteramt für die grüne Spitzenkandidatin Katharina Fegebank schien in greifbarer Nähe, zumal die Grünen noch bei den Bezirkswahlen im Frühjahr 2019 die SPD auf den zweiten Platz verwiesen hatten. Doch in diesem Jahr scheint die SPD sich von ihrem Schock erholt zu haben und holte gewaltig auf. Die Prozentwerte der Alternativpartei stagnierten bei 24 Prozent. Die CDU, die noch 2004 mit 47,2 Prozent die absolute Mehrheit errang, fiel in der jüngsten Umfrage immer weiter zurück auf den bisherigen Tiefstwert von 12 Prozent. Am Wahltag wurden es sogar noch 0,5 Prozentpunkte weniger.

Der Wahlkampf war bis Mitte Februar ohne große Höhepunkte verlaufen. Die SPD hatte die Parole »Die ganze Stadt im Blick« ausgegeben, während die Grünen einen Relativsatz formulierten: »Hamburg ist das, was wir draus machen.« Die Linke hatte unter anderem das Thema Mietendeckel in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt. Allerdings war ein großes Thema im Fokus: der Klimawandel und die Bewegung »Fridays for Future«, die alle Parteien zwang, sich zu positionieren.

Der Wahlkampf 2020 war einer der Frauen und der Menschen mit Migrationshintergrund. Linkspartei, FDP und Grüne hatten Spitzenkandidatinnen aufgestellt. Und: In diesem Wahlkampf kandidierten mehr Menschen mit Migrationshintergrund als 2015.
Für Aufregung sorgten kurz vor Schluss noch die Enthüllungen über die unrühmliche Rolle des Senats bei der Behandlung der Cum-Ex-Geschäfte der M.M. Warburg Bank. Und mitten in den Wahlkampfendspurt platzte am Mittwochabend die Nachricht von dem rassistischen Anschlag in Hanau. Daraufhin sagten alle Parteien ihre für Donnerstag geplanten Veranstaltungen ab. Vor dem Rathaus versammelten sich am Donnerstagnachmittag rund 300 Menschen zu einer antifaschistischen Manifestation, an der auch Vertreter*innen der Parteispitzen von SPD, CDU, Grünen, Linkspartei und FDP teilnahmen. Rund 3000 Menschen zogen wütend zum Parteibüro der AfD.

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