Personenschutz für 900.000 Euro

Behandlung eines Angeschossenen in Hannover wird Thema in Landtagsausschüssen – Klinikvizepräsident verliert Job

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Mann aus Montenegro, der in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wegen 26 Schussverletzungen behandelt worden war, hat Deutschland wieder verlassen. Er hat sich und seine ihn begleitende Frau mit einem Privatflugzeug in die Türkei fliegen lassen, nach Istanbul. Doch damit war und ist der Ärger, den der Aufenthalt des mutmaßlichen Clanchefs verursacht hat, für die Politik nicht beendet. So versuchten sowohl der Innen- als auch der Wissenschaftsausschuss des Landtages, in einer Sondersitzung Näheres zur Aufnahme des 35-Jährigen zu erfahren.

Zu Beginn der Zusammenkunft hatte Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) den beiden Gremien mitgeteilt: Als Konsequenz aus dem Geschehen um den Patienten ist der Vizepräsident der MHH, Andreas Tecklenburg, von seinen Aufgaben in der landeseigenen Uniklinik freigestellt worden, der Anstellungsvertrag mit ihm sei in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst worden. Der Ressortchef begründete diesen Schritt mit »einem erheblichen Informations- und Kommunikationsversagen«. Zu spät habe Tecklenburg das Ministerium über den »besonderen« Patienten in Kenntnis gesetzt. »Meldewege«in der Klinik müssten verbessert werden, auch ein neues Sicherheitskonzept dort sei erforderlich, betonte der Minister.

Rückblende: Der Patient war in Montenegro von Mitgliedern eines ihm feindlich gesonnenen Clans angeschossen worden und hatte zum Teil lebensbedrohende Verletzungen davongetragen. Zunächst war er in seiner Heimat ärztlich versorgt worden, ein Ambulanzflugzeug hatte ihn dann am 7. Februar nach Hannover verlegt. Dort ließ er sich in die Hochschulklinik bringen, weil die MHH, so hieß es, seiner Kenntnis nach besonders gut geeignet sei für die Weiterbehandlung. Nachdem bekannt geworden war, dass der Patient vermutlich einer Mafiagruppierung angehört und in ihr dort eine führende Stellung einnimmt, veranlasste die Polizei aufgrund einer »Gefährdungsanalyse« aufwendigen Personenschutz. Schwer bewaffnete Beamte patrouillierten an sowie in der Klinik und bewachten auch die Frau des Montenegriners, die ihn nach Hannover begleitet hatte.

Wohl auch wegen der Furcht, andere Patienten könnten von Angriffen auf den mutmaßlichen Clanboss mit betroffen werden, hatte die Stadt Hannover dann Ende der vergangenen Woche die Ausweisung des Mannes verfügt. Er und seine Frau wurden ausgeflogen. Der Schutz des Paares, so berichtete Hannovers Polizeileitung, habe rund 900.000 Euro gekostet. Geld, das voraussichtlich zu Lasten der Allgemeinheit aus dem Steuersäckel genommen werden muss. Die Behandlungskosten von gut 90.000 Euro hat der Patient dem Vernehmen nach bar bezahlt.

Die Freistellung und Vertragsauflösung des Vizepräsidenten sei ein erster richtiger Schritt, erklärte die wissenschaftspolitische Sprecherin der Landtags-SPD, Silke Lesemann. Bei der Aufnahme des montenegrinische Patienten habe das Krankenhausmanagement schwerwiegende Fehler begangen. Die Behandlung von Menschen aus dem Ausland sei keine Seltenheit an großen Kliniken in Deutschland. Doch müssten für solche Fälle verbindliche Richtlinien erarbeitet werden. »Es darf sich unter keinen Umständen wiederholen dass die Behandlung eines ausländischen Clanmitglieds die Sicherheit der Patienten und Patientinnen sowie der Beschäftigten in der MHH gefährdet«, betonte die Abgeordnete.

Ein »heilloses Durcheinander« im aktuellen Fall werfen die oppositionellen Grünen der Landesregierung vor. Sie mache sich mit der Entlassung des Vizepräsidenten »einen schlanken Fuß« und lenke vom eigenen Versagen ab. Die zuständigen Ministerien hätten sich tagelang weitgehend in Schweigen gehüllt und damit maßgeblich zur Verunsicherung von Kranken in der MHH und deren Personal beigetragen. Es sei zwingend notwendig, dass die Verantwortlichen der Klinik die Sachlage aus ihrer Sicht im Landtag darstellen können; die Grünen-Fraktion werde eine entsprechende Anhörung im Parlament beantragen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.