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Die Shishabar war mal unser zweites Zuhause
Über die Bedeutung migrantischer Rückzugsorte nach Hanau
Samstagabend: wir machen uns fertig, wollen feiern gehen. Das Hemd sitzt, die Glatze glänzt, der Bart frisch getrimmt. Auf geht’s zum ersten Club, schon von Weitem signalisiert man uns: Ihr kommt hier nicht rein. Bei Club Nummer zwei der gleiche Ablauf. Ein letzter Versuch auch hier wird’s nichts, was jetzt? Ab in die Shishabar. Hier sind wir willkommen, hier sind wir zu Hause, hier sind wir unter uns, nicht, weil wir es sein wollen, aber auch, weil wir nachts um eins eben nirgendwo anders reinkommen.
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Mit Hanau hat sich das Ganze geändert. Die Shishabar war für uns nicht einfach ein Ort, an dem man mal eine Pfeife raucht und Tee trinkt, es war die einzige Abendbeschäftigung, wo wir immer willkommen waren. Der faschistische Terroranschlag hat das geändert, er war ein gezielter Angriff auf ein Stück migrantische Kultur in Deutschland, er war ein Angriff auf uns. Ein Angriff, der uns die Sicherheit genommen hat, dass man trotz Alltagsrassismus, trotz der Abweisung an der Clubtür und trotz Ablehnung – auch in linken Strukturen – einen Ort hat, an den man sich zurückziehen kann. Hanau hat viel verändert, es hat nicht nur endgültig für die Mehrheitsgesellschaft sichtbar gemacht, dass es in Deutschland Rassismus gibt, es hat auch die ohnehin schon eingeschränkten Freiheiten weiter minimiert.
Ein gezielter Angriff auf ein Stück migrantische Kultur in Deutschland
Jahrzehntelang hat es niemanden interessiert, was in Shishabars passiert, es war egal, ob ein paar Kanaken zum Schwarztee ihre Zitronenminze rauchen. In den letzten Jahren hat sich das geändert, wir sind ins Visier gerückt. Über die Debatten um Clans wurden alle Shishabarbesitzer zu Kriminellen, die Besucher zu integrationsunwilligen Machos. Ein Bild, dass auch in linken Strukturen Einzug gehalten hat. Politiker haben diese Stimmung geschürt, sie haben Woche für Woche Razzien durchführen lassen und mal ein halbes und mal sogar zwei Kilo unverzollten Tabak gefunden. Klar, das ist eine Straftat, aber nichts, was es nicht auch in »Peters Eckkneipe« gäbe, aber dort interessiert es niemanden. Denn es passt ins Narrativ, dass der arabische, türkische oder kurdische Kleinunternehmer natürlich kriminell ist und das Geschäft nur mit Geldwäsche oder irgendeiner anderen Form der Kriminalität funktioniert. Schützenhilfe gab es von den Medien. Untermalt wird das Ganze durch Videos, in denen Barbesitzer, denen die Hälfte ihres Umsatzes durch die andauernden Kontrollen weggebrochen ist, wütend reagieren. Es fällt eine Beschimpfung und das Bild passt: Der Kanake respektiert den Rechtsstaat nicht.
Wut, dass die tägliche Hetze diese Tat vorbereitet hat
Während SPD und CDU vor allem auf Razzien setzten, griff die AfD ganz offensiv alle Migrantinnen und Migranten an und machte Shishabars zum Zentrum von islamistischem Terror. In dieser gesellschaftlichen Stimmung zückte der Täter von Hanau die Waffen und fuhr los und ermordete junge Menschen. Kann sein, dass niemand wollte, dass sowas geschieht, aber die Stimmung wurde geschürt, der Hass wurde gesät. Die Folge ist Trauer um die Toten und Wut auf diesen faschistischen Mörder, dessen Tat auf eine Geisteskrankheit reduziert wird, ohne den Rassismus zu thematisieren, der den Nährboden schuf. Wut, dass die tägliche Hetze diese Tat vorbereitet hat. Trauer, dass wir uns nun noch ein kleines Stückchen weniger zu Hause fühlen. Verzweiflung, weil wir alle wissen, dass Hanau etwas verändert hat. Denn nun taucht in jeder Whatsapp-Gruppe die Frage auf, ob wir heute Abend rausgehen oder vielleicht lieber zu Hause eine Shisha rauchen, weil Mama und Papa sich keine Sorgen machen sollen, weil man selber vielleicht auch ein wenig Angst hat.
Lasst uns auch mal nach einer Sitzung zusammen in eine Shishabar gehen, liebe Linke, auch wenn es dort häufig kein Bier gibt
Das alles hätte vielleicht verhindert werden könnten, wenn nicht nur wir die Kriminalisierung, die Hetze, die Stimmungsmache beklagt hätten, sondern noch viel mehr Menschen ohne Migrationshintergrund mit uns gestanden hätten. Doch wir können zusammen ein Stück Sicherheit erkämpfen, lasst uns nicht nur gegen Rassismus und Faschismus kämpfen, lasst uns auch gegen die Hetze gegen migrantische Kultur vorgehen und ja lasst uns auch mal nach einer Sitzung zusammen in eine Shishabar gehen, liebe Linke, auch wenn es dort häufig kein Bier gibt, auch, wenn ihr vielleicht nicht raucht. Einfach nur, um ein Zeichen zu setzen und deutlich zu machen, dass ihr nicht nur in Innenstädten demonstriert, sondern an die Orte mitkommt, die unsere Heimat sind.
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